Eines Abends klopfte es ganz hektisch an des Rabbis Haustür. Er legte das Buch zur Seite, in welches er sich bei Kerzenlicht vertieft hatte, und kam heraus.
Einer seiner Schüler stand freudig erregt vor ihm und wollte sich mitteilen. Der Rabbi bat ihn herein.
Es war jener Schüler, der seinem Lehrer immer wieder berichtete, dass ihn der Zustand der geistigen Erhobenheit öfters mit aller Macht in die sehnsüchtigen Gefilde inneren Friedens und seliger
Losgelöstheit zöge und dass er in seiner Wahrnehmung immer kurz vorher von einer unsichtbaren Wand aufgehalten werde - ja, ein ungelöstes Rätsel vor sich hätte, das ihm den Eintritt in
unaussprechlichen Frieden und Ruhe verwehre. Noch ein letzter Schritt durch diese Wand, ein Lüften des letzten Geheimnisses... und er wäre dort angenommen und getragen von der Ewigen
Barmherzigkeit.
Lange konnte der Schüler seinen Weg nicht erspüren, die Antwort nicht erahnen.
Doch jetzt erzählte er dem Rabbi, was ihm passiert war: "Rabbi, ich saß still mit meinen Gefährten in der Schul und ich bemerkte gar plötzlich und schmerzlich, wie es in mir und in den anderen
menschelte. Ich meine damit, dass ich die Anwesenden und sie mich hin und wieder unterschwellig verglichen, beäugt, verneint, bejaht haben... Und dann geschah es. Eine Offenbarung wurde mir
zuteil! Zwei gewaltige Worte - 'Urteile nicht!' Und die unsichtbare Wand war verschwunden, das Rätsel gelöst. Was für ein unbeschreiblicher Frieden ergriff mich für eine kurze Weile!"
Er seufzte: "Ach Rebbe, ich kann nicht besser beschreiben, was mir da widerfahren ist", sagte der Schüler fast verloren.
Rabbi Jakov sagte seinerseits: "Das ist der Weg zum Frieden, das ist der Beginn einer Offenbarung. Wenn man aufhört, innerlich mit sich und den anderen zu kämpfen, sich und den anderen die
Erfahrungen streitig zu machen und immerzu nach Fehlern zu suchen, wenn man aufhört zu urteilen, dann erlangt man inneren Frieden."
Aber er mahnte auch: "Wir müssen sehr achtsam sein, denn dieses unselige Urteilen lauert immer und überall und baut Wand um Wand zwischen uns und dem Reich des Göttlichen Friedens."
(Ruth Finder)
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Linda (Dienstag, 07 Januar 2025 06:40)
Gute Geschichte, RuFi, da steht man gleich wieder stramm!
Ruth Finder (Dienstag, 07 Januar 2025 09:07)
Haha, stramm steht man ^^ bei Rabbi Mendel von Kozk, der mit wenigen aber ganz schon prägnanten Worten das gleiche zum Ausdruck brachte:
Rabbi Mendel von Kozk sprach einmal zur Gemeinde: "Was begehre ich denn von euch! Drei Dinge nur: aus sich nicht herausschielen, in den anderen nicht hineinschielen und sich nicht meinen."