Die animalische Ebene

 

„Was nicht steigt, sinkt!“

 

 

Ein wichtiger Begriff im Zusammenhang mit der Selbstanalyse in der Psychopraktik ist der Begriff der animalischen Ebene. Obgleich ein Tier neben dem grobstofflichen Körper auch über Emotionen verfügt, ist mit der animalischen Ebene nur der grobstoffliche Bereich gemeint. Hier sind Selbsterhaltung und Fortpflanzung physische Notwendigkeiten, die das Leben von der toten Materie unterscheiden.

 

Freilich strahlt dieser Imperativ des Lebens schon beim Tier in den emotionalen Bereich, indem es beim Befolgen des Befehls „Überlebe und pflanze dich fort!“ Wohlsein und Befriedigung empfindet. Das Tier wird sogar gerade durch diese Emotionen zum Befolgen des Befehls ermuntert.

 

Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Zumindest nominell der Intellekt! Bei genauerer Beobachtung stellt sich aber heraus, dass der Intellekt sich meistens in den Dienst der Emotion stellt, die wiederum im Dienst der animalischen Ebene steht – wie wir gerade beim Tier gesehen haben. Wenn aber die animalische Ebene als Impulsgeber die höheren Ebenen dominiert, unterscheidet sich der Mensch dann wirklich vom Tier?

 

Der Intellekt muss sich also nach oben ausrichten – und nicht nach unten. Wir bezeichnen diese höhere Ebene als „Höheres Selbst“. Mehr oder weniger deckungsgleich sind damit Begriffe wie Buddhanatur, Christusselbst, Über-ich, Atman oder ursprüngliches Angesicht (jap. honrai memmoku). Wichtig ist es, zu erkennen, dass es dem Intellekt aufgrund seiner linearen Ausrichtung unmöglich ist, sich in beide Richtungen gleichzeitig zu orientieren. Im unveredelten Zustand ist er auf die animalische Ebene hin orientiert, kann allerdings seine Orientierung wechseln. Und dies geschieht auch, denn durch innere Bewegung oder äußeren Impuls richtet er sich selbst immer mal wieder über sich selbst hinaus nach oben aus. Nur fällt er gewöhnlich schnell wieder zurück.

 

Diese Fluktuation ist der Alltagspersönlichkeit normalerweise nicht bewusst. Daher kann es sein, dass ein Mensch, der kurzfristige Ausrichtung auf sein höheres Selbst erfahren hat, dies als Dauerzustand oder dauerhafte Veränderung voraussetzt und schon kurz darauf ganz seinen Gelüsten nachgeht, ohne einen Widerspruch zu bemerken. Während des Entwicklungsprozesses kann die Fluktuation sich mehr und mehr beschleunigen. Schließlich kann der Suchende sogar ständig die Perspektive wechseln. Die große Gefahr ist hier, dass die Inspiration durch das höhere Selbst immer größer und stetiger wird, aber de facto die ganze Zeit über mit der animalischen Ebene vermischt wird. Das ist karmisch nicht heilsam und löst zunehmenden Gegendruck aus.

 

Die intellektuelle Fixierung, von der aus immer nur der Blick in die eine oder andere Richtung möglich ist, muss überwunden werden. Erst durch das dauerhafte Einnehmen der Perspektive des höheren Selbstes kann die animalische Ebene sinnvoll integriert werden. Vom höheren Selbst aus sind alle drei Bereiche der Alltagspersönlichkeit zu überblicken, ohne das eine mit dem anderen zu verwechseln. Das nennen wir Erwachen.

 

Diese vielschichtigen Prozesse aufzudecken und in das Bewusstsein des Suchenden zu bringen, ist ein wesentliches Anliegen der Psychopraktik.