Luzibär

Als Gott der Herr sich nach einem arbeitsamen Tage zur "Stillen Ruhe" auf seinen Stammplatz setzte, besann er sich der Zusammenhänge, welche die untreuen Geschöpfe in maßloser Überschätzung der ihnen anvertrauten Geschicklichkeiten einander zu beeinflussen und zu beherrschen versuchten, wodurch sich ihm Kriterien neu bestimmten, das Wissen und damit teilweise Macht in Gestalt von Ideen und Ahnungen im Bewusstsein der Menschen zu verteilen.

Er saß also, schob schwere Gedanken vor sich her, streifte die Latschen von den Füßen und fragte sich, ob er den Computer ausgeschaltet hatte, ob er ein Notprogramm, an dem er seit längerem in den immer weniger gewordenen Minuten der Muße gearbeitet hatte, nun für die Zeit seiner Erschöpfung einlegen sollte, da die Ungewissheit ihn schon deutlicher mit den Füßen nach den Latschen angeln ließ.

Da kam einer von diesen Außendienstlern an den Tisch, die die Aufgabe zu erfüllen haben, sich nützlich zu machen, wenn es periodisch fällig wurde, alle Kardinalfehler aufzudecken, die die Kardinäle bevorrechtigt sind zu machen, damit die Folgen menschlicher Fehlerhaftigkeit auch höherer Beamten, sowie rangniedriger Menschen gelegentlich deutlich werden, um auf die unendliche Autorität ihres gemeinsamen Schöpfers hinzuweisen.

"Was is?" fragte Gott der Herr, denn es wurde ihm klar, dass Luzibär vorrangig anzuhören ist, anstatt sich wieder dem Computerkram zuzuwenden.

Luzibär zog seinem obersten Dienstherrn die Latschen über die Füße, kam dann unter dem Tisch zum Vorschein und sagte: "Wir müssen zu Deinem Terminal, denn erstens hat die Sache keinen Aufschub mehr und ich kann es Dir ausgefuchsten Hacker am besten am Sichtgerät erläutern, was zweitens so unerhört ist, dass wir sofort hinmüssen."

"Das scheint Brisanz zu haben, denn diesen Ton, den Du mir gegenüber noch nie angeschlagen hast, würdest nicht einmal Du dir sonst herausnehmen."

Raschen Schrittes gingen sie zum göttlichen Rechenzentrum, wo sich schon beim Herannahen alle Lichter entfachten. Auf dem Tisch, auf dem das Hauptreglerpult neben den Monitoren ein- und aufgebaut war, glimmten die LCDs, die verrieten, dass die alten und neuen Notprogramme miteinander verbunden hatten, was aufgrund eines eingeschliffenen Neugierbefriedigungs- mechanismus nicht mehr spurlos aufzuhalten war. Die Neugiermechanismuslogik hatte sich des gesondert gespeicherten und aufbewahrten Sondernotprogrammes bemächtigt und aus Eifersucht diesen Neuling des göttlichen Equipments aus göttlicher Notphantasie entstandener Notwendigkeit von Nöten eingelesen, vervielfältigt und revidiert.

Faktisch bedeutete dies, daß sich, von außen nicht sichtbar, die Chips aus ihrem Gehorsamseifer heraus schon die neuesten Methoden zur Abwehrparanoia steuernden Paranoiaabwehr vereinnahmt hatten, und nach diesem Programm alles gelöscht hatten, was weniger harmonisch schien, als Bach-Musik.

So lachte Luzibär und pfiff die Melodie mit, die gerade aus dem Lautsprecher kam, der im Schalensitz eingebaut war.

Gott lächelte auch, denn auf dem Hauptmonitor, der sich durch die erspürte astrale Nähe der Gottheit selbst eingeschaltet hatte, zeigten sich die genauen Umrisse eines Bierglases, das durch die Umrisse einer schöngestalteten Frauenhand gehalten wurde, an der auch noch die Umrisse einer Gesamtgestalt erkennbar wurden, die zu einer Frau gehörten, die proportioniert war, als hätte Gott selbst sie geschaffen.

"Und deshalb hast Du mich belatscht?" fragte Gott.

"Nein," sagte Luzibär, "ich tat es, damit dir das Bier in der "Stillen Ruhe" auch wirklich schmeckt."

So gingen sie in stiller Ruhe an den Tisch, wo seitdem eine Frau nicht nur Bier ausschenkt, sondern auch mittrinkt.

 

(Georg Otterstedt)

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