Meister befreien

Einige Schüler von Schargoroder Rabbi fanden sich noch vor der Lehrstunde in der Schul ein. Sie besprachen dies und jenes und irgendwann kamen sie auf ihren Rabbi.

Ein Schüler sagte: "Gelobt sei der Herr, dass der Rabbi unser Lehrer ist, und gelobt sei unser Rabbi, dass er uns unterweist und uns den Weg deutet und uns durch Höhen und Tiefen trägt. Wir sollen uns am Zipfel seines Mantels festhalten und nie mehr loslassen."

 

Heftiges Kopfnicken von seinen Kameraden begleitete seine Worte.

Einer von ihnen erwiderte aber: "Wir sollen doch die Eigenständigkeit anstreben - mit Hilfe unseres Rabbi nach dem eigenen Weg suchen."

 

Und an den Kameraden gewandt meinte er: "Mit deinen Worten gesagt, wir sollen uns trauen, uns vom Mantel des Rebben zu lösen und mit eigenen Füßen zu gehen. Ich glaube, dem Rabbi wäre das nur Recht und Freude und Erleichterung."

Da sprachen alle auf ihn ein: "Was gibst du da für Zeug von dir! Dann sollten wir uns doch gleich als Schülerschaft auflösen und die Schul schließen."

Nun aber trat Rabbi ben Katz in den Raum und es wurde still. Was die Schüler nicht wussten: Der Rabbi hatte den letzten Teil des Gesprächs mitgehört, als er sich im Vorraum der Schul den Schmutz von den Stiefeln streifte.

Der Schargoroder setzte sich an den Pult und begann die Lehrstunde: "Dreifach ist die Befreiung. Die erste ist die des Himmels: Der Allmächtige hat jedem von uns einen Schutzengel zur Seite gestellt. Wir vertrauen diesem, ja wir halten große Stücke auf ihn. Dieser aber trägt uns nicht nur in schwierigen Tagen, sondern bemüht sich nach Kräften, uns in unserer Entwicklung zu unterstützen. Und er hofft, das wir wachsen und für uns selber gehen lernen und gehen können. Denn jeder Schutzengel will seine ihm vom Herrn aufgetragene Aufgabe erfüllen. Indem wir uns von der Dunkelheit ablösen und engelsgleich werden, entbinden und befreien wir unseren Schutzengel.

Die zweite ist die des Diesseits: Werdet eigenständig, lasst mich los. Ich möchte als Gleicher unter Gleichen gehen! Eurer Mitschüler hat das erfasst."

Dann stand er vom seinem Sitz auf und fragte: "Wie gelingt das?"

Und antwortete sogleich selbst: "Wir müssen uns von unseren egoistischen Verstrickungen befreien und uns so auf den Weg zur inneren Meisterschaft machen. Das ist die dritte, die Befreiung des Inneren."

(Ruth Finder)

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Kommentare: 1
  • #1

    Diana (Sonntag, 02 Juni 2024 21:52)

    Inspirierende Geschichte, Ruth, ich danke Dir. Und der Titel gefällt mir sehr, das Tüpfelchen auf i.