Der zweite Satz der Juwelen lautet: "Ich will die Pforten meiner Sinne (...) dreimal pro Nacht."
Der dritte Satz lautet: "Ich will meine Fehler (...) anderen bekannt machen."
Beide Sätze gehören für mich folgendermaßen zusammen: (2) beschreibt das Streben nach Selbsterkenntnis, (3) beschreibt, welche Erkenntnisse wir dadurch auf die andere Menschen gewinnen
können.
Der Text "0074 - 27.06.2024 - Wüste Väter 33 - Von der Demut" ergänzt aus meiner Sicht das Ganze hervorragend.
Meine Überlegungen dazu habe ich in einer Rabbigeschichte verarbeitet.
Die Brücke
Rabbi Jakov ben Katz saß nach einer Lehrstunde über die Notwendigkeit der Selbsterkenntnis im Kreise seiner Schüler, als einer von ihnen eine Bitte an ihn richtete: "Rebbe, spanne uns doch eine
Brücke zwischen Selbsterkenntnis und dadurch gewonnener Erkenntnis in Bezug auf unsere Mitmenschen."
Der Rabbi nahm die Bitte gerne an und verkündete: "Es gibt zwei Brücken! Erkenne dich selbst, und du hast die Wahl, eine der beiden zu betreten."
Die Schüler schauten den Rabbi und einander fragend an.
Der Schargoroder fuhr fort: "Die eine Brücke heißt Hochmut. Derjenige betritt sie, der sich denkt 'Da, wo es mir mangelt, stehen die anderen hoffnungslos noch schlechter da, und erst, als ich
meine Stärken erkannt habe, sah ich, wie schwach die anderen sind'. Diese Brücke sieht felsenfest aus, aber der Schein trügt. Denn sie ist gebaut aus wackeligen Steinen der Verblendung sich und
den anderen gegenüber und stürzt gewiss wieder in sich zusammen - heiß es doch nicht umsonst, dass Hochmut vor dem Fall kommt. Und so kommt der Hochmütige gar nicht über die Brücke. Schlimmer
noch, die beide Ufer sind für ihn dann unerreichbar geworden und Klagen und Schwermut sind sein Schicksal!"
Der Rabbi ließ das Bild eine Weile auf seine Schüler einwirken.
Dann erzählte er weiter: "Die andere Brücke heißt Demut. Derjenige, der über diese Brücke gehen will, weiß reumütig um seine Fehlerhaftigkeit, aber er sucht nicht Fehler bei den anderen zum
Ausgleich oder um der Rechtfertigung willen. Er kümmert sich schlicht nicht darum. Und werden doch die fremden Fehler erkannt, stellt er deswegen keine übertriebenen Ansprüche an seine
Mitmenschen. Es ist bei ihm sogar anders herum - seine Schwächen lassen ihn die Stärken der anderen erkennen. Und das Gute, dessen er in sich gewahr wird, tut er in aller Bescheidenheit nicht vor
aller Welt kund, aber die edlen Eigenschaften der anderen machen sich ihm dafür um so mehr bemerkbar."
Dann schwieg Rabbi Jakov vielsagend. Derselbe Schüler hielt es nicht aus und fragte: "Und wie ist denn die Beschaffenheit dieser Brücke?"
Der Rabbi sagte zur Erheiterung aller: "Oh, mein Lieber, diese Brücke muss noch von jedem selber gebaut und ausgestaltet werden! Sie steht aber fest und bringt einen sicher vom einen Ufer an das
andere, wenn sie auf drei Fundamentpfeilern fußt, welche heißen Bescheidenheit, In-Wahrheit-stehen und Liebe."
(Ruth Finder)
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Ruth Finder (Samstag, 29 Juni 2024 15:57)
Fehlende Wörter
Ein Chassid wandte sich an den Rabbi Jakov ben Katz, weil er in einer Sache nicht weiter wusste: "Werter Rebbe, der Dämon beherrscht zuweilen meisterhaft die Sprache der Gerechten und führt dabei unsereins in die Täuschung. Wie entlarve ich denn so einen redegewandten Bösewicht?"
Der Rabbi gab ihm einen Hinweis: "Achte darauf, was er nie sagt. Es sind nur vier Wörter, die ihm nicht über die Lippen kommen. Die lauten "Ich habe mich geirrt".
Ruth Finder (Samstag, 29 Juni 2024 16:28)
Zitat aus "Perlen":
Einige Schüler waren bei Rabbi Jakov ben Katz zu Besuch.
Einer sprach für sie alle: „Rabbi, bitte erzähle uns eine deiner Geschichten. Wie treffend Du doch aufzeigst, woran die Welt krankt!“
„Aber nein, meine Freunde!“, rief Jakov ben Katz aus. „Die Geschichten erzähle ich, um mich zu erinnern, woran es mir selber mangelt!“
(Ruth Finder)
Diana (Sonntag, 30 Juni 2024 09:09)
Vielen Dank, RuFi, für die glänzenden Ausführungen.
Ich kaue auch noch an der Demut herum, in jeder Hinsicht :-).