Normativ - 02. Oktober 2015

Spiritualität kann immer nur nach innen normativ sein - also dem Einzelnen als Richtschnur für sein Verhalten dienen und Entwicklungsausblick sein. Sobald sie nach außen normativ zu sein versucht - sei es im Kleinsten in der Familie oder im Größten zwischen Volksgruppen oder Staaten - kann sie zwar für einen nach innen abgegrenzten Kreis scheinnormativ (denn das zwei Menschen dasselbe glauben ist logisch unmöglich) sein und zu Religion werden, wird aber als Preis für diese Illusion wiederum nach außerhalb dieses Kreises zum Gegenstand von Entzweiung bis hin zu Mord und Krieg.

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#1
Ruth Finder (Samstag, 03 Oktober 2015 05:37)
Als ich "Normativ" beim ersten Mal zu Ende gelesen habe, dachte ich nur: "Hä?" Dann habe ich mich Satz für Satz zum Verstehen "durchgekämpft", um dann den ganzen Text als eine Einheit erfassen zu können. Nun, dachte ich, ich zahle dem Verfasser mit der gleichen Münze zurück. ;-)

Man sagte einmal zu Rabbi Mendel von Kozk von einem bestimmten Menschen, er sei größer als ein anderer, den man ebenfalls beim Namen nannte.
Rabbi Mendel erwiderte: "Bin ich ich, weil ich ich bin, und du bist du, weil du du bist, dann bin ich ich und du bist du. Bin ich hingegen ich, weil du du bist, und du bist du, weil ich ich bin, dann bin ich nicht ich und du bist nicht du."


Dostojewski - 05. Oktober 2015

Es gibt unter den Mönchen viele Müßiggänger, Tagediebe, Wollüstlinge und gewöhnliche Landstreicher. Auf diese weisen die gebildeten Weltlichen hin. "Ihr seid Faulenzer und unnütze Glieder der Gesellschaft", sagen sie, "Ihr lebt von fremder Arbeit und seid schamlose Bettler!" Indessen gibt es doch viele unter den Mönchen, die, fromm und demütig, die Einsamkeit suchen und nach Stille und Gebet verlangen. Auf diese weist man nicht hin, sondern übergeht sie mit Schweigen.
(Dostojewski in 'Die Brüder Karamasoff')

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#1
Clemens (Montag, 05 Oktober 2015 09:44)
Einerseits müssen wir "Mönche" als allgemeinen Begriff lesen. Als "Menschen, die irgendwo im religiös-spirituellen Raum angesiedelt sind". Dann fasst es doch mehr die Realität, in der WIR leben.

Zum anderen gilt das Bedenken, das L. bei Worten wie "sehr", "viele" und "oft" oder "meistens" formuliert, indem er sagt, das seien "starke Worte". Klar, wenn unter einer Million "Mönche" fünftausend ein spirituell ausgerichtetes Leben führen, dann kann man fünftausend auf einem Haufen schon als "viele" bezeichnen, aber im Vergleich zur Million sind es doch wenige...

Auf jene wenigen kommt es jedoch viel an! Und sie und diese Tatsache werden von den nicht-spirituellen Menschen in der Tat gern übergangen. Was in der Natur der Sache liegt!


Unterscheidung - 06. Oktober 2015

Bei 1. Korinther 6, 12 lesen wir: "Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nicht gefangen nehmen." Kannst Du, bevor Du weiterliest, die Aussage ganz erfassen? Was damit gemeint ist?
(Superbia enim inductus vel deos lacessivit. Cum enim Mors, filia Erebi et Noctis, iussa esset Sisyphum in Tartarum deportare, ei contigit, ut Mortem vinceret et catenis vinciret. Quo factum est, ut nemo mori posset, priusquam Mars Mortem e catenis liberavisset.) Dieser lateinische Einschub hat hoffentlich für eine kleine Gedankenpause gesorgt, bevor wir das eigentlich Offensichtliche sagen: Uns ist alles erlaubt. Auch das, was nicht "zum Guten dient" - also nicht gut ist. Auch Schlechtes oder gar Böses. Das ist eine Konsequenz des höchsten Prinzips der Freiheit. Wäre nicht alles erlaubt, gäbe es sie nicht.
Leider begreifen wir die Erlaubnis oft tatsächlich als solche. Eigentlich ist sie aber eine klare Aufforderung zur Unterscheidung. Die schöne Frage: "Warum leckt sich der Hund die Eier?" und die kurze Antwort: "Weil er es kann!" beschreiben bedauerlich genau die Handlungsmaxime, die die meisten Menschen aus der scheinbaren Generalerlaubnis ziehen.
Das Ganze geht aber noch weiter. Selbst das, was "zum Guten dient", soll mich nicht gefangen nehmen. Hier liegt die Freiheit, die mit der Freiheit eigentlich gemeint ist - auf die unsere Entwicklung zielt. Es geht um innere Freiheit, Freiheit sich selbst gegenüber. Selbst wenn wir außen Gutes tun, aber davon gefangen sind, sind wir nicht frei und machen damit etwas falsch, obwohl wir Richtiges tun!

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Ruth Finder (Mittwoch, 07 Oktober 2015)
Ja, uns ist alles erlaubt und wir sind frei zu tun und zu lassen, was und wie wir es wollen - subjektiv gesehen. Objektiv betrachtet, lässt Gott unser Handeln kurz oder lang gewähren. Dabei benutzt er die ganze Zeit ein Korrektiv - das Karma. Vielleicht könnte man das mit einer Hecke vergleichen, die zwar immer wieder in alle Richtungen wächst, aber hin und wieder in Form gebracht wird. Der Mensch wird immer wieder erinnert, wofür er da ist.
#2
Jonas (Mittwoch, 07 Oktober 2015 18:55)
Hallo Ruth Finder, interessante Gedankengänge!
Was hindert uns eigentlich daran, nicht all das zu tun, was wir als AP impulsiv wollen? Die meisten Menschen würden möglicherweise zügellos den Begierden ihres Egos nachgeben, wenn sie nicht Angst vor den damit verbundenen (staatlich verhängten) Strafen hätten. Gut zu beobachten ist das im Fall von Katastrophen, wo die staatliche Ordnung nicht mehr gegeben ist. Auf Haiti z.B. starben mehr Menschen an Schussverletzungen als durch das vorangegangene Erdbeben.
Von uns Weg-Arbeitern wird glaube ich erwartet, aus Einsicht heraus zu handeln und nicht aus Angst vor den karmischen Konsequenzen (oder staatlichen Strafen). Wenn bei uns - um Deinen Heckenvergleich zu nutzen - Triebe in die falsche Richtung wachsen, dann werden die meiner Erfahrung nach unmittelbar und kräftig zurückgestutzt. Das ist mitunter sehr unangenehm, erspart aber größeren Schmerz, da der abgeschnittene Zweig noch klein ist. Wir erfahren durch die Weg-Arbeit aber andererseits viel Unterstützung, durch die unsere guten Zweige prächtig gedeihen. Unser Gärtner versorgt uns halt mit viel Substral^^.
#3
Ruth Finder (Donnerstag, 08 Oktober 2015 10:27)
Hallo Jonas!
Und es stimmt, was du schreibst. Aus der höheren Warte gesehen, ist uns nämlich nicht alles erlaubt, zumindest nicht ohne Weiteres. Grade dieses Wissen um das Karmagesetzt richtig verstanden, also - nicht religiös-ängstlich ob eines strafenden Gottes, sondern einsichtig in die eigene Verantwortung - denke ich, macht uns nach und nach freier in unserem Handeln.


Lachen - 07. Oktober 2015

Der Rabbi Mendel von Kozk ging mir bei der Arbeit die ganze Zeit im Kopf herum. Ich konnte mich nicht auf mein Hörbuch konzentrieren! Er soll gesagt haben: "Was begehre ich denn von euch! Nur drei Dinge: aus sich nicht herausschielen, in den anderen nicht hineinschielen und sich nicht meinen."

Der schläfenlockige Fuchs hat mehr gesagt, als es auf den ersten Blick scheint. Eine zwingende Dreiheit wäre gewesen, wenn er als drittes von "nicht in sich hineinschielen" gesprochen hätte. Das wäre aber für seine Gemeinde (und uns) vielleicht unverständlich gewesen und daher hat er es mit "sich nicht meinen" übersetzt. Wir könnten vielleicht auch "sich nicht angesprochen fühlen" oder "sich aus der Gleichung herausnehmen" sagen.
Weiter spricht er von "schielen", nicht von schauen, blicken oder kucken. Schielen ist falsches Sehen. Mehr noch, es ist doppeltes Sehen. Also dualistisches, trennendes Sehen. Der Rabbi sagt damit, dass wir auf die richtige Weise aus uns herausschauen und in andere hineinschauen (lernen) sollen. Und, wenn die erste Überlegung stimmt, auch, dass wir auf die richtige Weise in uns hineinschauen sollen.
In den Trennungswelten brauchen wir immer beide Informationen, beide Seiten, um vom Berg, über den Nicht-mehr-Berg zum Wieder-Berg zu kommen. Oder von der ursprünglichen, aber unwissenden Reinheit über Verwicklung und Entwicklung zur endgültigen, wissenden Reinheit zurückzukehren.
Weiter zu schielen hieße, den Propheten kein Gehör zu schenken. Nur zu schauen, hieße, den Vorhang zum Allerheiligsten entzweizureißen. Nicht zu schielen, aber auch nicht zu schauen, hieße den Patriarchen der Tora eine Nase drehen. Schau und Nicht-Schau zu vereinen, hieße, dem Rabbi Mendel an seinem Bart zu zupfen und ihn dabei gutwillig lachen zu sehen.

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#1
Ruth Finder (Donnerstag, 08 Oktober 2015 10:34)
Eine überraschende und umso mehr interessante und stimmige Interpretation, wenn man Strabismus als Grundlage für die Überlegung nimmt. ^^

Ich nehme für meine Version als Grundlage die übertragende Bedeutung des Wortes "schielen", nämlich: "auf etwas/jemanden verstohlen gucken", "begehren", "jmd. beneiden".

"Aus sich nicht herausschielen", also: bei sich gucken, bei sich anfangen, bei sich suchen;
"In den anderen nicht hineinschielen", also: jemanden nicht beneiden, nicht beurteilen, nicht nachmachen; Und bei all dem "sich nicht meinen", also: sich nicht wichtig nehmen, bescheiden sein, den anderen Vorrang geben.


Frei - 13. Oktober 2015

Deine Person ist Geist, Gefühl und Leib.
Teile diese hundert Prozent durch drei,
und es bleibt ein unendlich kleiner Rest.
Dies ist das unendlich Kleine in dir,
das das unendlich Große berührt.
Mache es zur Mitte deines Seins,
und die Verwechslung wird schwinden.
Lebe aus ihm, frei von dir selbst,
und dein Sein wird zu seiner Mitte.


Kulturpessimismus - 14. Oktober 2015

Was gemacht werden kann, wird auch gemacht - außer sich zu bescheiden.


Tugenden - 16. Oktober 2015

Im Buddhismus werden sechs oder zehn zu übende Tugenden aufgezählt, die zur Erleuchtung führen. Bleiben wir einmal bei den sechs Tugenden des Theravada. Die ersten fünf sind AP-Tugenden, die geübt und stufenweise erlernt werden können. Es sind Freigiebigkeit/ Großzügigkeit, ethische Integrität, Geduld/Akzeptierfähigkeit, Enthusiasmus/energisches Bemühen und Meditation. Die sechste Tugend ist Weisheit/Erkenntnis. Sie kann wohl ebenfalls stufenweise erlangt werden, ist aber nicht übbar, sondern entsteht als Produkt der ersten fünf Tugenden und anderer Aspekte.
Herr von Allmen zitiert in einer seiner Lehrreden einen Krishnamurti (nicht Jiddu, vielleicht U.G.), der gesagt haben soll, dass Erleuchtung ein Unfall sei und nicht das Resultat von Meditation - das aber Meditation die Anfälligkeit für diese Art Unfall erhöhe. So müssen wir auch das Erlangen von Weisheit durch die ersten fünf Tugenden sehen.
Denken wir bei den Tugenden auch an die "nahen und fernen Feinde". Der ferne Feind ist natürlich immer das Gegenteil. Also zum Beispiel von Geduld eben Ungeduld.
Das Gegenteil von Freigiebigkeit ist natürlich Knauserigkeit, Geiz. Interessanterweise nicht nur gegenüber anderen Wesen/Leuten, sondern auch sich selbst gegenüber. Aber was wäre der nahe Feind von Freigiebigkeit? Gedankenlose Verschwendung, zwanghaftes Kaufen, Konsumrausch. Dann natürlich wie alle nahen Feinde wo möglich immer gern unter dem Deckmäntelchen der Tugend.
Wie und wo sich einer in Bezug auf die Tugenden befindet, muss jeder für sich herausfinden. Interessanterweise können Außenstehenden die Tatsachen oft offensichtlich sein, wo man selbst völlig blind scheint und selbst bei deutlichen Hinweisen immer wieder in diese Blindheit hineinrutscht, wenn man nicht sowieso einfach mit Abwehr reagiert.
Wir haben hier wieder so einen für den logischen, linearen Verstand schwer auszuhaltenden rückbezüglichen Mechanismus, bei dem scheinbar das Endergebnis gebraucht wird, um die Vorbedingungen optimal zu erfüllen, denn für die optimale Ausführung der ersten fünf Tugenden braucht man umfassendes Unterscheidungsvermögen sich selbst gegenüber. Und Unterscheidungsvermögen ist ein Ausdruck von Weisheit.
Wir wissen natürlich, dass einfach in allen Bereichen Weg-Arbeit erforderlich ist - wie es ja schon oben anklingt. Die einzelnen Verwirklichungsniveaus können überall unterschiedlich sein. Das ist schon innerhalb einer Person schwer durchschaubar. Vergleiche können wir uns erst recht abschminken.


Pünktlein - 19. Oktober 2015

Es heißt, dass wir hin und wieder oder sogar oft Eingebungen, Informationen, Hinweise, Erkenntnisse von "oben" erhalten. In den allermeisten Fällen werden sie nicht wahrgenommen und verfehlen vorerst ihre Wirkung. Deshalb ist es sehr wichtig für diese Botschaften, bewusste Aufmerksamkeit oder aufmerksame Bewusstheit zu entwickeln. Kontemplatives Lesen, tiefes Nachdenken, Nachsinnen, Meditation, Aufmerksamkeit im Alltag - immer und immer wieder sich auf das Ziel auszurichten - helfen z.B. dabei.
Die Frage im Studienkreis, ob man in der Woche irgendwelche spirituelle Erkenntnisse - auch wenn sie noch so "unbedeutend" erscheinen - erlangt hat, ist deshalb keine so vermessene oder leichthin gestellte Frage.
Mir ist gestern etwas hoch erfreuliches dieser Art passiert. Ich habe auf einmal große Heiterkeit gespürt und mich aufgehoben gefühlt. Ich habe versucht, in dieser Situation aufmerksam zu bleiben, einfach in dieser Freude zu sein. Und dann, nach ungefähr einer Stunde, ist mir etwas aufgegangen. Und zwar: ich habe die Bedeutung einer Geschichte von Rabbi Jizchak Meir von Ger verstanden. Die Geschichte habe ich schon vor langer Zeit gelesen und noch mal gelesen und konnte doch nicht so richtig fassen, worum es dabei ging. Und trotzdem ist mir diese Geschichte in Erinnerung geblieben.
Also, inmitten der oben beschriebenen, sehr wünschenswerten und erfreulichen Situation habe ich mir gedacht: "Es handelt sich doch bei der Geschichte um die gleiche Sache wie im Blogbeitrag "Frei" von Clemens." Hier ist die Geschichte:

Das Rad und das Pünktlein 

Rabbi Jizchak Meir erzählte: "Wenn einer Führer wird, müssen alle nötigen Dinge da sein, ein Lehrhaus und Zimmer und Tische und Stühle, und einer wird Verwalter, und einer wird Diener und so fort. Und dann kommt der böse Widersacher und reißt das innerste Pünktlein heraus, aber alles andere bleibt wie zuvor, und das Rad dreht sich weiter, nur das innerste Pünktlein fehlt." Der Rabbi hob die Stimme: "Aber Gott helfe uns: man darf es nicht geschehen lassen!"
(Ruth Finder)

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#1
Ludwig (Dienstag, 20 Oktober 2015 09:42)
Eine schöne Beschreibung herabsteigender und gleichzeitig heraufsteigender Inspiration. Und darüber hinaus noch Gelegenheit, die Fleißarbeit zu loben, die mit dem Abschreiben und Umschreiben der Aussprüche und Denkanstöße der jüdischen Mystiker verbunden ist. Die Auswahl zeugt von Geschick und Einsicht. Es sind viele Texte hoher Spiritualität darunter. Geschrieben in einfachen Worten und Bildern. Vorlagen für tiefes Nachsinnen. Einstiege zum Sein.
#2
Jonas (Dienstag, 20 Oktober 2015 09:47)
Hallo Ruth Finder,
ich hätte es so verstanden, dass Rabbi Meir mit der Geschichte davor warnt, dass aus spirituellen Bewegungen rasch Religionen werden können, wenn man das innerste Pünktlein, also den spirituellen Kern entfernt und dadurch leere Formhüllen entstehen. Wie hast Du es denn erkannt, verrätst Du uns das?


Negative Gefühle - 19. Oktober 2015

Negative Gefühle sind eine Realität. Wir können damit auf zweierlei Weisen umgehen. Die eine ist, ihnen keine Aufmerksamkeit zu schenken, sie dadurch zu devitalisieren und sie dann durch wünschenswerte Gefühle zu ersetzen. Dieser Ansatz entspringt der Annahme, dass wir Herren unserer psychischen und noetischen Körper sind/sein sollten ebenso wie wir Herren unserer grobstofflichen Körper sind. Es geht hier praktisch darum, unseren Emotionalkörper zu nutzen, wie wir als höhere Selbste es wollen. Das muss trainiert werden.
Die andere Art damit umzugehen ist, die negativen (ebenso wie die positiven) Gefühle zu akzeptieren, zu erkennen, dass sie vorübergehender Natur sind, und dass wir nicht mit ihnen identisch sind - wir folglich unser Handeln nicht durch sie beeinträchtigen lassen müssen. Wir können lernen, Gefühle wie sie sind auszuhalten, ohne auf sie einzusteigen. Auch hier erlangen wir Handlungsfreiheit als höhere Selbste. Das muss trainiert werden.
Wie trainieren wir das? Sicher, in den Meditationsübungen! Aber das wichtigste Übungsfeld ist natürlich der Alltag. Da wo negative Gefühle auftreten. Wir sind dann aber immer geneigt, die negativen Gefühle zu verdrängen (nicht haben wollen), oder nach außen verlagert auszuagieren - will sagen, den "Schuldigen" büßen zu lassen oder Übersprungshandlungen zu vollziehen und jemand anderen stellvertretend anzugehen. Als Weg-Arbeiter müssen wir bei uns selbst bleiben und aufmerksam sein. Immer wieder zurückkehren zur Eigenverantwortlichkeit für die tatsächlich in uns stattfindenden Zustände. Und wieder, und wieder. Und es wirklich tun. Ersetzen und/oder nicht beeinflussen lassen. Nicht nur nicken und dann weiter wie gehabt.

Kommentare: 1
#1
Jonas (Dienstag, 20 Oktober 2015 08:01)
Danke für Deine Betrachtung!
Die unbewusste Verdrängung negativer Gefühle ist eine ganz heimtückische Sache. Ich habe an mir schon des Öfteren bemerkt, dass sich negative Gefühle bei Verdrängung erstaunlich lange im psychischen Körper halten können. Ich registriere manchmal erst Stunden nach dem auslösenden Ereignis, dass in mir ein negatives Gefühl vorhanden ist. Beim Erkennen desselben weiß ich im ersten Moment oft gar nicht mehr, wodurch es ursprünglich ausgelöst wurde. Erst durch Nachspüren/Hineingehen erkenne ich dann die Zusammenhänge, wobei es dadurch meistens auch schon aufgelöst wird.
Die Projektion nach außen, indem wir uns z.B. einen Sündenbock zum abreagieren suchen, ist leider oftmals erst die erste Gelegenheit überhaupt zu registrieren, dass wir psychisch negativ belastet sind. Als Wahrheitsforscher müssten spätestens hier bei uns die Alarmglocken zu läuten beginnen und wir mit Innehalten und Innenschau Licht in das Gefühl bringen.


Der Pfad - 21. Oktober 2015

Der Pfad führt die Menschen
mal auseinander mal zusammen,
doch innen bleiben immer sie verbunden,
nur in steter Bewegung kann der Mensch gesunden.
(Bruder Silvio)


Gleichgewicht.-.24. Oktober 2015

...ist idealerweise nur eine Phase, eigentlich ein kurzer Moment. So kurz, wie der Augenblick zwischen einatmen und ausatmen, der weder das eine noch das andere ist. Gehen (das Beschreiten des Weges) ist kontrolliertes Vorwärtsfallen - immer wieder mit dem gerade nach vorne geworfenen Fuß aufgefangen und in einem kurzen Moment des Gleichgewichts in den nächsten Schritt übergehend. Einigermaßen anhaltendes Gleichgewicht haben nur Stehende, besser Sitzende, noch besser Liegende, perfekt Tote. "Er ist aus dem Gleichgewicht" ist eine recht zutreffende Beschreibung eines Voranschreitenden.

Kommentare: 4
#1
Ruth Gabriel (Dienstag, 27 Oktober 2015 14:32)
So gesehen ist Gleichgewicht wohl eine Art von Einrichten.
#2
Jonas (Donnerstag, 29 Oktober 2015 08:45)
Ja, dieses Einrichten als Gleichgewicht kann man vor allem bei älteren Personen sehr schön sehen. Da fließt alles ohne wesentliche Veränderung oft jahrelang dahin, bis die Vorsehung von außen eingreift und wieder für Ungleichgewicht (und damit Fortschritt) sorgt. Auch wir selbst als spirituelle Gemeinschaft sind nicht gefeit davor. Clemens hat das in der letzten Betrachtung grafisch in Form der permanenten Abweichung des Ausrichtungsstrahles gut dargestellt, erst durch Ungleichgewichte können wir uns der perfekten Ausrichtung wieder annähern.
#3
Ruth Gabriel (Donnerstag, 29 Oktober 2015 16:39)
Das war für mich eine ganz neue Erkenntnis. Bis dahin hielt ich Gleichgewicht für etwas sehr Erstrebenswertes. Dass dann aber keine Bewegung mehr statt findet, war mir gar nicht bewusst. Bei mir hat das eine Art erweiterten Blick auf das Leben und besonders auf die schwierigen Situationen zur Folge. Das nimmt ein wenig die Abwehr und fördert die Freude am Leben. Spürbar.
#4
Ruth Finder (Donnerstag, 29 Oktober 2015 19:23)
Erstrebenswert ist Gleichgewicht im Ungleichgewicht - das ist das berühmte Tanzen
der Meister.
Man könnte sich das Leben auch als einen Gang auf dem Seil vorstellen: man braucht
Ungleichgewicht, um vorwärts zu gehen, und gleichzeitig braucht man Gleichgewicht,
um nicht vom Seil zu fallen.


Die Entscheidung - 26. Oktober 2015

Der größten Fortschritt, den ein Mensch erreichen kann,
ist das Eis zu brechen.


Das größte Glück, das ein Mensch haben kann,
ist dieses zu erkennen.


Die größte Chance, die dem Menschen zukommt,
ist die Fähigkeit zu erkennen.

Steckt der Mensch in tiefen Kämpfen,
so bedarf es letztendlich nur einer wahren Entscheidung,
um die Schwerter fallen zu lassen und den Sieg zu erringen.


Nichts in der Macht des Menschen ist so groß,
wie eine totale Entscheidung.

Sie allein befreit und schafft Neues.
Totale Entscheidung ist aus der Erkenntnis erwachsen.

Der Mensch ist bereit, zum Aufbruch in die Fremde, in das Neue.
Das Vereinen der Gegensätze geschieht durch die Entscheidung.


Der Mensch ist frei und kann sich so vor der Entscheidung drücken.


Und das Mysterium der Entscheidung bleibt es,
dass der Lohn einer Entscheidungerst nach der Entscheidung
erhalten und als solcher erkannt wird.

Am Lohn kann man messen, ob die zugrundeliegende Entscheidung
eine tatsächliche war,
denn der Mensch täuscht sich gern mit seiner Entscheidung,
denn ein eigentlich freies Wesen will sich kaum eingestehen,
gefangen von der Mutlosigkeit zu sein,
da es dem Neuen mit Angst begegnet.

Hier bedarf es der ersten Entscheidung, die ein Mensch treffen muss:

Die Entscheidung, Neuem zu begegnen, aufzubrechen,
totale Entscheidungen zu treffen,
das Eis zu brechen.
(Bruder Silvio)

Kommentare: 2
#1
Ruth Finder (Montag, 26 Oktober 2015 22:12)
Ich finde fast alle Gedichte Silvios richtig gut und lese sie gerne. Auch diesmal.
#2
Ruth Gabriel (Dienstag, 27 Oktober 2015 14:22)
Ja, das geht mir auch so. Wobei mich manche mehr berühren als andere. Dieses gehört zu denen, die mich sehr berühren.


Zwei Richtungen - 28. Oktober 2015

Wenn wir darüber nachdenken, was für Tun aus dem Beschreiten des spirituellen Pfades erwächst, dann lassen wir uns ganz gerne ein paar plausible Tipps geben. Besonders, wenn sie nicht so weh tun. ^^ Schwieriger wird es manchmal, wenn es darum geht, das Falsche nicht zu tun. Noch schwieriger wird es, das Falsche zu lassen. Hinter Nicht-Tun kann man sich noch verstecken. Hinter Lassen kaum.

Kommentare: 2
#1
Jonas (Donnerstag, 29 Oktober 2015 12:11)
Eine kleine Facette noch dazu: Wie hast Du einmal so schön gesagt (kein Zitat): Um etwas bewusst nicht zu tun, muss man es erst einmal tun können.^^
#2
Ruth Gabriel (Donnerstag, 29 Oktober 2015 16:24)
Seit gestern habe ich auf dem Blogeintrag "rumgekaut" und keinen Ansatz des Begreifens für mich gefunden. Jetzt habe ich einen. Danke für die "Facette" :o)


Blindheit - 29. Oktober 2015

Zur Unwissenheit gehört Blindheit. Wir durchdringen die Wirklichkeit nicht, wir überdecken die wahre Natur der Erfahrung. Sie fördert unheilsame Formen der Aufmerksamkeit und dadurch illusionsbehaftetes Handeln.
(Visuddhimagga)


Leder - 30. Oktober 2015

Es gibt drei Grundhaltungen unter den Menschen. Im einzelnen Individuum finden sie sich in vielfältigen Kombinationen und unterschiedlich starken Ausprägungen. Zudem beginnen alle Menschen ihr Leben ganz in der ersten Haltung und erlangen graduell erst nach und nach reifere Haltungen.
Die erste Haltung ist, dass andere einem alle Gefahren und Mühen aus dem Weg räumen. In einem schönen Bild wird davon gesprochen, dass man vor allen Dornen, scharfen Kanten und spitzen Steinen der Welt geschützt werden möchte, indem sie von anderen für einen komplett mit weichem Leder ausgelegt wird.
Die zweite Haltung ist, zu versuchen, selbst alle Orte mit Leder auszulegen, die man beschreitet.
Die dritte ist, sich aus einem Stück Leder Schuhe anzufertigen.


Mehr Leder - 31. Oktober 2015

Das gestern beschriebene Bild in dem Text über die drei Grundhaltungen hat einen etwas anderen Ursprung. Es stammt aus dem buddhistischen Kontext und beschreibt schlicht die zwei verschiedenen möglichen Herangehensweisen der Menschen an die Tatsache, das Leid eine Lebensrealität ist. Die ersteren "normalen" Menschen versuchen die Ursachen für Leid in der Welt zu bekämpfen, die Dinge für sich selbst besser zu machen, das Äußere zu modifizieren. Die zweite Gruppe sind die Schüler des buddhistischen Weges, die die inneren, persönlichen Ursachen für Leid überwinden, indem sie Anhaftungen und Widerstände abbauen.

Kommentare: 5
#1
R.G. (Montag, 02 November 2015 14:28)
Dann sind wohl die mit der dritten Herangehensweise diejenigen, die den Weg beschreiten, weil es nichts zu überwinden gibt.
#2
Clemens (Dienstag, 03 November 2015 17:27)
Die Meister tanzen barfuß und treten trotzdem nicht in die Dornen?
#3
Ruth Gabriel (Mittwoch, 04 November 2015 08:32)
Vielleicht treten sie rein und tanzen weiter. "Es sind nur Dornen..."
#4
Clemens (Mittwoch, 04 November 2015 10:36)
Sie treten rein, um sie aufzusammeln... ^^
#5
Ruth Gabriel (Donnerstag, 05 November 2015 08:44)
:o)
Das ist ganz schön schön.


Zwei Mängel beim "Erwachen" - 03. November 2015

Zwei mehr oder weniger stark (aber fast überall eben stark) ausgeprägte Mängel springen mir bei den Skype-Mitschnitten von Erwachenslehrenden und bei Besuchen ihrer Webseiten ins Auge. Hier wird "Spiritualität" verkauft und fast nirgends wird auch nur ansatzweise auf die "drei Säulen" hingewiesen. Für mich beides Kriterien, die Angebote und die Anbieter spirituell nicht sehr ernst zu nehmen. Trotzdem durchaus inspirierende Blickwinkel dabei...

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#1
Thomas von Bremerhaven (Dienstag, 03 November 2015 14:04)
Gefischt wird überall. Zumindest an den guten Stellen. Es beißen nur nicht viele.
Übrigens: Schön, dass sich hier jetzt mehr bewegt. Ein Aspirant alleine macht eben noch keinen Frühling. Ein paar mehr und schön blüht was.


Was ist der Lohn? - 04. November 2015

Wenn du den Weg des Glaubens gehst, erlangst du Liebe und Wissen.
Liebe zum Geschöpf, Wissen um das Ende des Leides.
Wenn du den Weg des Wissens gehst, erlangst du Liebe und Glauben.
Liebe zum Geschöpf, Glauben an das Unermessliche.
Wenn du den Weg der Liebe gehst, erlangst du Wissen und Glauben.
Wissen um das Ende des Leides, Glauben an das Unerschöpfliche.
(Bruder Silvio)


Taten - 06. November 2015

Habe ein interessantes Zitat von Shunryu Suzuki gelesen, das die Frage der Erleuchtung in eine scheinbar andere Richtung lenkt. Zumindest ist es ein aufschlussreicher Blickwinkel. Leute, die rumlaufen und behaupten, sie seien erleuchtet oder erwacht, sind mir in ihrer Statik und Hundertprozentigkeit irgendwie suspekt. Der einzige, den ich persönlich kenne und der mir schon ziemlich fortgeschritten scheint, betont immer, er sei selbst ein Schüler. Suzukii sagte, dass es eigentlich gar keine erleuchteten Menschen gäbe - nur erleuchtetes Handeln. Das lenkt den Fokus deutlich weg von der "Person" auf die Tat.


Nicht-Trennung - 07. November 2015

Wie ein flackerndes Licht bin ich, im Wind der Gefühle
Wie eine schäumende Gischt bin ich, in der Brandung der Sehnsucht
Wie ein schwingender Ton bin ich, auf der Laute der Liebe
Nicht unterscheid ich, nicht zertrenn ich,
was in Gottes Einheit sich befindet.
Die Wolke treibt dahin.
(Bruder Silvio)


Harmonie - 08. November 2015

Die Harmonie ist die Ahnung von der den Gegensätzen innewohnenden Einheit.
Der Rhythmus ist die Ahnung von der Einheit im Wandel.

Der Musiker schafft ein harmonisches Werk,
wenn er sowohl mit dem Ton, als auch mit der Stille komponiert.

Und der harmonische Mensch ist der,
der sowohl nimmt, als auch gibt, der sowohl schafft, als auch ruht.

Aber der, bei dem Nehmen gleich Geben, Schaffen gleich Ruhen ist,
der ist der leidlose Mensch, dessen Dasein uns eine Freude ist.

Der, dessen Gleichmut vom Wandel unberührt bleibt,
der ist der verehrungswürdige Mensch, dessen Dasein uns eine Hilfe ist.

Wenn wir in der Harmonie den Rhythmus sehen
und in dem Rhythmus die Einheit suchen,
dann sind wir der einen Erkenntnis nahe.

Wenn wir das im Wandel Bleibende werden,
keine Harmonie erkennen, weil wir die Einheit sehen,
dann haben wir die Erkenntnis gewonnen.

Denn dort, wo Harmonie ist, ist Rhythmus,
wo Rhythmus ist, ist Wandel
und wo Wandel ist, ist der Mensch,
der gefangen ist im Kreislauf des Werdens und Vergehens,
bis da der Tag kommt, an dem die Erkenntnis in ihm aufblüht
und die Harmonie in der Einheit aufgeht.
(Bruder Silvio)


Musa (Moses) - 09. November 2015

Musa hörte zufällig im Vorbeigehen, wie ein unwissender Schäfer betete: "Oh Allah, der Du auserwählst, wo verbirgst Du Dich? Lass mich Dich finden, daß ich Dir diene, Dir die Schuhe anziehe, Dir die Haare kämme, Dir die Kleider wasche, Deine Läuse töte, Dir die Milch bringe, o Erhabener!"
"Oh, was bist du ganz und gar verdorben," tadelte ihn Musa, "Bist nicht gläubig geworden, sondern ein Ketzer! Was ist das für ein Geschwätz, für eine Lästerung und Prahlerei? Allah, der Hocherhabene, bedarf derartiger Dienste nicht!"
Der Schäfer entwich verwirrt in die Wüste.
Da mahnte Allah Seinen Propheten: "Du hast Meinen Diener von Mir getrennt. Bist du gekommen zu binden oder zu lösen? Verhindere Trennung, wo immer du kannst! Das Meistgehasste ist für Mich die Scheidung. Jedem schenkte Ich sein eigenes Verhalten, gab jedem seine eigene Ausdrucksweise. Der Hirte ist zu loben, du aber bist zu tadeln: Bei ihm geht es um Honig, bei dir geht es um Gift. Ich bin unabhängig von Reinheit und Befleckung, von Schwerfälligkeit und Behendigkeit. Nicht zu meinem Nutzen stelle Ich die Gebote auf, sonder aus Großmut gegenüber Meinen Dienern. Nicht Ich werde rein durch eure Gebete - ihr selbst werdet es und verstreut Perlen. Ich schaue nicht auf Zunge und Rede, Ich schaue auf das Innere und die Seele. Ich blicke in das Herz, ob es - trotz vorlauter Worte - demütig bleibt. Das Herz ist wesentlich, die Rede zufällig."
(Rumi)

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#1
Ruth Finder (Montag, 09 November 2015 16:24)
Auch chassidische Gelehrte ermutigten ihre Schüler in ihrer eigenen "Sprache" zu Gott zu beten - solange dabei das Herz aufrichtig und demütig ist. Dazu folgende Geschichte namens "Das Stammeln":
Rabbi Levi Jizchak von Berditschew kam einst in eine Herberge, wo viele Kaufleute eingekehrt waren. Am frühen Morgen wollten die Gäste beten. Da sich aber im ganzen Haus nur ein einziges Paar Tefillin (Gebetskapseln und -riemen bei Juden) fand, zog einer nach dem anderen sie an, sprach in Eile das Gebet und reichte sie dem Nächsten. Als alle fertig waren, rief der Rabbi zwei junge Leute zu sich heran.
Sie traten näher, er sah ihnen ernsthaft in die Augen und sagte nur: "Ma-ma-ma, wa-wa-wa-."
"Was wollt Ihr?" riefen die Jünglinge, erhielten aber nichts zu Antwort als die gleichen wirren Lauten. Da hielten sie ihn für einen Narren.
Nun redete er sie an: "Wie, versteht ihr die Sprache nicht und habt doch soeben zu Gott dem Herren in ihr gesprochen?"
Einen Augenblick schwiegen die jungen Leute bestürzt, dann aber sagte der eine: "Habt Ihr nicht ein Kind in der Wiege liegen sehen, das die Stimme noch nicht zu gliedern vermag? Habt Ihr nicht gehört, wie es allerlei Geräusche mit seinem Munde macht: Ma-ma-ma, wa-wa-wa? Alle Weisen und Gelehrten können es nicht verstehen. Wenn aber seine Mutter hinzukommt, weiß sie sogleich, was die Laute meinen."
Als der Berditschewer diese Antwort vernahm, begann er vor Freude zu tanzen. Und wenn er später die Leute im Gebet nach ihrer eigenen Art mit Gott unterreden hörte, pflegte er diese Antwort zu erzählen.


Teehaus - 12. November 2015

In ein "Teehaus" - ein Treffpunkt von Derwischen - tritt ein Mönch ein und verkündet:
»Mein Meister hat mich gelehrt zu verbreiten, daß die Menschheit so lange nicht das Stadium der
Vollkommenheit erreichen wird, bis derjenige, dem kein Unrecht geschah, über ein Unrecht genauso empört ist, wie derjenige, dem Unrecht geschah.«
Für einen Augenblick ist die ganze Versammlung beeindruckt. Dann spricht Nasrudin:
»Mein Lehrer lehrte mich, daß überhaupt niemand über irgend etwas empört sein sollte, ehe er nicht
sicher ist, daß das vermeintliche Übel auch tatsächlich ein Übel ist - und nicht eine verkleidete Segnung!«
(Nasrudin-Erzählungen)

Kommentare: 2
#1
Ruth Gabriel (Freitag, 13 November 2015 19:15)
Meister Eckhart sagt, dass Gottes Wirken stets auf das Beste abzielt. Und da kein Ding der Welt außerhalb der Einheit Gottes gesetzt ist (Martin Buber, Unterweisung), können wir davon ausgehen, dass wohl JEDES vermeintliche Übel eine verkleidete Segnung ist.
Das bedeutet nicht, dass wir sie büßerhaft ertragen sollen, sondern dass wir sie als Chance für unsere weitere Entwicklung wahr nehmen.
#2
Ruth Gabriel (Sonntag, 15 November 2015 11:54)
Ergänzend zu meinem vorigen Kommentar:
Wir müssen uns die Frage stellen, WORIN denn in diesem jeweils vermeintlichen Übel unsere ganz persönliche Chance für Wachstum liegt.


Wenn... - 13. November 2015

Wenn du schweigst und innen eine Stimme hörst,
diese Stimme dich mit Liebe erfüllt,
folge ihr, denn es ist die eines Meisters.

Wenn du außen schweigst und innen sprichst,
diese Stimme dich mit Liebe erfüllt,
so ist dies deine Eitelkeit.

Wenn du außen sprichst und innen schweigst,
diese Stimme dich mit Liebe erfüllt,
bist du ein Narr, stolz auf deine Unwissenheit.

Wenn du innen und außen sprichst,
diese Stimme dich mit Liebe erfüllt,
bist du verloren im Strom der Worte.

Wenn du außen schweigst und innen sprechen läßt,
diese Stimme dich mit Liebe erfüllt,
lerne von ihr, meditierend lauschst du Gott.

Wenn du innen und außen sprechen läßt,
diese Stimme dich mit Liebe erfüllt,
bist du ein Meister und kennst Gott.

Wenn du eins bist mit den Worten, innen wie außen,
bist du die Liebe, die erfüllt,
denn du bist die Stimme, bist Gott.
(Bruder Silvio)


Erkennen - 16. November 2015

Das Erkennen setzt Gleichartigkeit voraus im Erkennenden und Erkannten. Schon das sinnliche Wahrnehmen bedeutet eine reale Vereinigung zwischen dem Wahrnehmenden und dem Wahrgenommenem.
(Meister Eckhart)


Paulusmäßig - 16. November 2015

Ich kann mich nicht mehr an die Herkunft des Zitates erinnern. War es aus dem Neuen Testament? Woher auch immer. Sinngemäß ging es so: "Es gibt viele, die eine Form von Glauben haben, sich aber hinsichtlich seiner Kraft als falsch erweisen." (Hört sich jedenfalls recht paulusmäßig an...) gar nicht so einfach zu fassen, was gemeint ist, oder? Ich habe das einmal mit TvB. diskutiert. Für mich hat das seitdem eine bestimmte Bedeutung, aber andere sind denkbar. Denkt doch mal. Es meint ja wohl nicht nur dieses "Glaube kann Berge versetzen" Ding.

Kommentare: 4
#1
Ruth Finder (Dienstag, 17 November 2015 04:51)
Es hat richtig Spaß gemacht, über "Paulusmäßig" nachzudenken. Es war aber auch anstrengend. Ich konnte förmlich spüren, wie sich die graue Masse ganz zäh in die... orthodoxe Richtung bewegte. Bis der Gedanke: "Denk unorthodox!" kam und die Masse, wie von selbst, in die andere Richtung floss. Wie, wenn das Wort "viele" nicht "Menschen" sondern "Wege" bedeutet und die Kraft des Glaubens überschätzt wird? Der Glaube ist passiv und orientiert sich am Äußeren: man glaubt an jemand oder an etwas, an dies und jenes. Man glaubt, weil es gesagt, geschrieben, vorgegeben, gepredigt war oder ist. Daraus könnte blinder, unterschiedsloser, form-behafteter Glaube entstehen. Das ist nicht nur falsch sondern auch oft gefährlich. Man könnte erwidern, was denn z.B. so falsch sei, an sich zu glauben. Dazu würde ich aber fragen: "An welches "Ich"? Glaubt man nicht meistens an die AP - an eine Illusion, die unser Äußeres repräsentiert?
Was wirklich Kraft hat, ist unmittelbares Wissen der höheren geistigen Zusammenhänge, die unmittelbare Erkenntnis der Wahrheit, die unmittelbare spirituelle Erfahrung. Das ist die Kraft der Zuversicht und diese Kraft ist aktiv. Sie kommt aus dem Inneren und ist hoch zu schätzen. Man könnte den Satz aus dem Beitrag so umschreiben:" Es gibt viele, die wahre Erkenntnis und unmittelbare Erfahrung haben und sich hinsichtlich ihrer Kraft als richtig erweisen."
#2
Jonas (Donnerstag, 19 November 2015 07:48)
Um echtes Wissen überhaupt erlangen zu können, ist es notwendig, vorher die eigenen Glaubenssätze aufzugeben, oder zumindest beweglich zu halten. Starrer Glauben verhindert echte Erkenntnis, lässt diese Art des Erlangens von Wissen nicht zu. Uns wird dadurch der Zugang zur Wahrheit verwehrt. Die erstarrte, festgelegte Form des Glaubens, die in vielen Religionsgemeinschaften vorzufinden ist, hat wahrlich keine Kraft, uns zur Quelle hinzuführen. Ob Paulus das auch so gesehen hätte?
#3
Ruth Gabriel (Sonntag, 22 November 2015 22:37)
Man kann davon überzeugt sein, eine Ausrichtung zu haben. Der Grad der Verwirklichung (Kraft des Glaubens) zeigt, ob man sich geirrt hat (sich als falsch erweist).
#4
Thomas von Bremerhaven (Montag, 23 November 2015 14:45)
Die Kraft des Glaubens ist das, was uns im Alltag trägt. Was uns im Alltag trägt, macht uns den Alltag leicht und begleitet uns in jedem Moment. Alles Denken, Reden und Tun erwächst daraus.


Jubel und Tanz - 19. November 2015

Einige Chassidim betonen stark die absolute Individualität und Selbstverantwortung des Einzelnen und warnen vor dem (Selbst-)Vergleichen und dem Nacheifern. Das ist schön, wahr und hilfreich. Ja, es lädt ein zu Jubel und Tanz, aber wie immer kann es die AP auch hier schaffen, aus dem Richtigen ein Falsches zu machen, indem sie die Wahrheit auf sich selbst bezieht und zu ihrer Rechtfertigung benutzt. Sie sieht sich mit ihren Fähigkeiten als so-schon-richtig und segnet obendrein damit ihre Defizite ab, wenn sie sie nicht sowieso verdrängt.
Die Talente und Fähigkeiten der AP (nebst ihren Defiziten) zu erkennen, bedeutet, ihre Ausgangsposition auf dem Weg zu erkennen. Um den spirituellen Weg aber beschreiten zu können, müssen wir untersuchen, in wessen Dienst wir unsere Fähigkeiten stellen. Sonst beschreiten wir den Weg entweder gar nicht, oder wir neigen dazu, von ihm abzukommen. Und nochmals: Zwar gut rechnen, aber nicht gut schwimmen zu können befreit nicht grundsätzlich davon, seine Schwimmfähigkeit zu trainieren.


Weg - 21. November 2015

Wir müssen auf den wahrhaft königlichen, göttlichen, öffentlichen, noch nicht versuchten Weg des Lichtes, des Friedens und der Eintracht zurückkehren, auf den Weg der Einheit, Einfachheit und Freiwilligkeit. Dieser Weg der Einheit und Allgemeinheit, der allumfassende Weg wird uns lehren, alles unter sich zu verbinden, was verbunden sein soll, das heißt: alles, in allen, auf alle Weise.
(Comenius)


Hurra - 23. November 2015

...Ruth Gabriel hat das gesuchte "Paulusmäßige" wiedergefunden:
"In 2. Timotheus 3:1-5 finden wir eine Beschreibung der Zeit des Endes:
Wisse dies, dass in den letzten Tagen kritische Zeiten dasein werden mit denen man schwer fertig wird. Die Menschen werden eigenliebig sein, geldliebend, anmaßend, hochmütig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, nicht loyal, ohne natürliche Zuneigung, für keine Übereinkunft zugänglich, Verleumder, ohne Selbstbeherrschung, brutal, ohne Liebe zum Guten, Verräter, unbesonnen, aufgeblasen vor Stolz, die Vergnügungen mehr lieben als Gott, die eine Form der Gottergebenheit haben sich aber hinsichtlich deren Kraft als falsch erweisen. Von diesen wende dich weg."
Wobei Gottergebenheit und "Glaube" wie in meiner Erinnerung auch nicht leichthin als das Gleiche angesehen werden können. Aber sei`s drum.

Kommentare: 5
#1
Ruth Gabriel (Montag, 23 November 2015 10:31)
Dann hier noch einmal meine Überlegung dazu:
Man kann davon überzeugt sein, eine Ausrichtung zu haben. Der Grad der Verwirklichung (Kraft des Glaubens) zeigt, ob man sich geirrt hat (sich als falsch erweist).
#2
Ruth Finder (Montag, 23 November 2015 17:05)
Bei so vielen Lasten ist es erstaunlich, dass diejenigen überhaupt irgendwelche Gottergebenheit haben. (Ironie aus) Anderseits, das ist so`ne Sache mit Ergebenheit. Bedeutet, unter anderem, auch Unterwürfigkeit, Gehorsam, Untertänigkeit. Das setzt einen strengen, furchteinflössenden, strafenden Gott voraus. Ich wähle Hingabe. Hört sich polemisch an? Hatte aber Lust dazu...
#3
Clemens (Montag, 23 November 2015 17:05)
Kürzer und bündiger hätte Thomas mich unter "Paulusmäßig" nicht spoilern können. Klar ist natürlich, dass Glauben hier nicht für eine oberflächliche, austauschbare Meinung steht, sondern für etwas, das aus sorgfältiger Untersuchung und langjährigen Erfahrungen erwächst. Ansonsten könnte er garkeine Kraft haben. Er ist aber selbst dann nicht die Kraft selbst. Erst durch Training entsteht Kraft. Durch Übung. Wir müssen lernen, unsere innere Überzeugung nach und nach dauerhaft als Hintergrund unserer Aktivitäten in den Trennungswelten bewusst zu halten. Nein besser noch, sie zur natürlichen Grundlage unserer Aktivitäten werden zu lassen. Erst wenn wir beides haben - geprüften Glauben und anhaltenden Glauben - haben wir nicht mehr eine "Form" von Glauben, sondern einen Glaubensinhalt, der zudem noch "kräftig" ist.
#4
Thomas von Bremerhaven (Dienstag, 24 November 2015 10:36)
Du hast das von mir kurz Gefasste geschickt weiter gefasst, aber einen Punkt haben wir beide noch nicht erwähnt. Man könnte es zwar aus deinem letzten Satz ableiten, aber das geschieht nicht selbstverständlich. Die beiden zusammenhängenden Regler Glaubensform und Glaubenskraft lassen sich leider unabhängig bewegen. Man kann sie einzeln bis zum Anschlag hochdrehen.
Was bedeutet das? Nicht beide Varianten sind in der Konsequenz gleich, aber beide sind tragisch. Die eine Variante wäre, dass man einen hochgradig richtigen, guten Glauben hat, aber kaum Ansporn und Kraft zum Tun (oder Lassen) daraus zieht. Die andere Variante wäre, dass man einen sehr falschen Glauben haben kann, ihn aber mit großer Konsequenz und Opferbereitschaft (sowohl sich als auch andere betreffend) verfolgt. Offensichtlich die noch schlimmere Fehlausprägung.
Davor warnt eines der zehn Gebote in der besonders schönen Form der von Dir hier zitierten Buberbibel: "Trage nicht SEINEN deines Gottes Namen auf das Wahnhafte. Denn nicht straffrei läßt ER ihn, der seinen Namen auf das Wahnhafte trägt."
Seinen deines Gottes Namen auf das Wahnhafte tragen - herrlich und eindeutig gesagt!
#5
Clemens (Dienstag, 24 November 2015 10:43)
Mit "davor" meint Thomas übrigens BEIDE Fehlausprägungen - was auch nicht sofort ins Auge springt. Aber: Wie abgefahren ist das denn?


Unwesentlich - 26. November 2015

Ich werfe jeden Tag mehr auf den Scheiterhaufen des Unwesentlichen - das Schöne bei diesem Tun ist das, daß das Wesentliche dabei nicht kleiner, enger wird, sondern grade mächtiger und großartiger.
(Franz Marc)

Kommentare: 7
#1
Ruth Finder (Donnerstag, 26 November 2015 23:08)
Je mehr ich aus Einsicht verzichte, desto mehr habe ich. Oder..?
#2
Ruth Gabriel (Freitag, 27 November 2015 06:49)
Je weniger Raum das Unwesentliche einnimmt, desto mehr Platz ist für das Wesentliche. Meister Eckhart spricht davon, dass wir uns "leer" machen müssen und Gott dann, ob er will oder nicht, sich in uns eingießen muss. Er kann gar nicht anders.
Schön ist ja auch, dass wir den Verzicht dann auch gar nicht mehr als Verzicht wahr nehmen :o)
#3
Jonas (Freitag, 27 November 2015 07:26)
Der Evangelist Johannes drückt es folgendermaßen aus:
"Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen." Johannes 3:30, Übersetzung Luther 1912
#4
Jonas (Freitag, 27 November 2015 07:35)
Ich finde das Bild des Scheiterhaufens bei Franz Marc sehr ausdrucksstark. Wir verbrennen das als unwesentlich erkannte im Feuer unserer Erkenntnis/Einsicht. Das erinnert mich auch ein wenig an Daskalos, der unliebsame Elementale unter Verwendung einer Kerzenflamme aufgelöst haben soll. (nach Markides)
#5
Jonas (Sonntag, 29 November 2015 14:19)
Hallo Ruth,
könntest Du mir bitte die Stelle bei Meister Eckhart angeben, ich konnte dazu bislang nur folgende Passage im Buch der Tröstungen finden: "Kein Gefäß kann zweierlei Trank in sich fassen. Soll es Wein enthalten, so muß man notgedrungen das Wasser ausgießen; das Gefäß muß leer und ledig werden. Darum: sollst du göttliche Freude und Gott aufnehmen, so mußt du notwendig die Kreaturen ausgießen."
#6
Clemens (Sonntag, 29 November 2015 15:22)
Buber spricht als Fazit im letzten Absatz seines Werkes, das ich für den Downloadbereich eingescannt hatte, auch von der Einwohnung - wenn auch nicht in der wunderbaren Form des "er kann garnicht anders".
Buber: "Das ist es, worauf es letzten Endes ankommt: Gott einlassen. Man kann ihn aber nur da einlassen, wo man steht, wo man wirklich steht, da wo man lebt, wo man ein wahres Leben lebt. Pflegen wir heiligen Umgang mit der uns anvertrauten kleinen Welt, helfen wir in dem Bezirk der Schöpfung, mit der wir leben, der heiligen Seelensubstanz zur Vollendung zu gelangen, dann stiften wir an diesem unserem Ort eine Stätte für Gottes Einwohnung, dann lassen wir Gott ein."
#7
Ruth Gabriel (Sonntag, 29 November 2015 20:45)
Hallo Jonas,
"Die Gottesgeburt in der Seele geschieht, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, zwangsläufig. Sie zu veranlassen ist für Gott eine Naturnotwendigkeit, er folgt dabei seiner eigenen Natur, könnte also gar nicht anders wollen und handeln: Er muss es tun, es sei ihm lieb oder leid und Gottes Natur, sein Sein und seine Gottheit hängen daran, dass er in der Seele wirken muss.[60] "
Ich habe dies bei wikipedia gefunden. Die Quellen sind angegeben.
https://de.wikipedia.org/wiki/Meister_Eckhart


Recto-Verso - 30. November 2015

Prediger Salomo sagte: "Eitelkeit der Eitelkeiten, alles ist eitel und haschen nach Wind."
Von Rabbi Pinchas von Korez ist überliefert: "Es gibt keine Worte, die in sich eitel sind, und es gibt keine Handlungen, die in sich eitel sind. Aber man kann Worte und Handlungen zu eitlen machen, indem man sie eitel redet und eitel tut."

Die beiden Sätze gehören zusammen und stehen nicht im Widerspruch zu einander.
(Ruth Finder)


Schattentugend - 04. Dezember 2015

Der Erwerb von "Schattentugend" - also von rechtem Tun, das von keinem Mitmenschen auf den Tuenden bezogen bemerkt wird - ist im Alltag überall und leicht möglich. Man muss das Nachdenken über die Förderung der Heinzelmännchen-Mentalität bei Mitbenschen loslassen und einfach tun. In einer Wohnanlage, in der man mit verschiedenen anderen weltlichen Bewohnern zusammen lebt, gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, herumwehenden Müll einzusammeln und zu entsorgen, versehentlich angelassenes Licht zu löschen und und und. Vorgestern warf die Post jedem Bewohner ungefragt ein großes Telefonbuch in den Briefkasten. Früher konnte man sich so einen 2-Kilo-Schinken bei der Post abholen, wenn man einen wollte. Jetzt diese Aufdringlichkeit, die zudem auch noch bedeutet, dass bundesweit dutzende Millionen Telefonbücher für nix produziert werden (falls es denn so ist, dass alle Haushalte beglückt werden). Aber egal. ich nahm den Schinken aus dem Briefkasten und legte es im Flur am Briefkasten ab, da in zwei Tagen Papierabholung sein sollte. Zwei weitere Bewohner fanden die Idee gut und legten ihre Telefonbücher dazu. Heute früh auf dem Weg zur Arbeit nahm ich unser Altpapier aus der Wohnung mit und überlegte auf dem Weg zum Briefkasten, ob ich nur unser Telefonbuch mit an die Straße nehmen sollte, oder ob ich die Gelegenheit zum Erwerb von Schattentugend nutzen sollte und - irgendein Schuft ist mir zuvorgekommen. ^^ Schattentugend kann auch von möglicherweise gar nicht spirituell orientierten Menschen erworben werden, nicht wahr?


Ein Fluch lastet auf uns - 06. Dezember 2015

Und sie glauben immer wieder,
solange sie atmen, dass der Tod bei ihnen eine Ausnahme macht.
Das, obwohl sie den Tod nicht kennen.
Das, obwohl sie sich selbst nicht kennen.

Die Gesichter des Todes sind vielfältig und schön.
Es ist diese Schönheit,
die die Menschen auf ewig an den Tod bindet.

Es ist die Sucht, ein Ich zu sein.
Das, obwohl sie sich lebend glauben.
Das, obwohl sie sich frei glauben.

Einige reiben sich die Augen und wachen auf.
Sie sind allein unter Tausenden.
Diese Einsamkeit ist ihre erste Probe.

Das, obwohl sie die Liebe suchen.
Das, obwohl sie die Liebe zu geben bereit sind.

Ein Fluch lastet auf dem Menschengeschlecht.
Ausgesprochen ewig und immer wieder
von der Sucht nach dem Ich.
(Bruder Silvio)


Wäsche waschen - 07. Dezember 2015

Nochmal als "offizielle" Empfehlung: Jack Kornfield "Nach der Erleuchtung Wäsche waschen und Kartoffeln schälen". Wenn man geistig ein wenig den US-amerikanischen Überschwang abzieht/relativiert und die teils doch vorhandene buddhistische Perspektive abendländisch mildert, indem man etwa Leere durch Fülle ersetzt, ist das Werk hochinteressant. Manche angesprochenen Wahrheiten kann man leicht weiterdenken, wo sie etwas zu kurz gegriffen sind. Andere stehen locker für sich. Kornfield ist kein Dogmatiker und sehr am menschlichen Maß interessiert. Sehr angenehmer Typ.
Wenn Kornfield beispielsweise Buddha zitiert, der gesagt haben soll, das spirituelle Leben könne sich auf vier Weisen entfalten, fügt er leichthin eine fünfte hinzu. Doch konkret: Buddha soll gesagt haben, bei manchen Suchern entfalte sich das spirituelle Leben schnell, leicht und freudvoll. Bei manchen schnell und durch Leid ausgelöst. Bei manchen langsam und freudvoll und bei manchen langsam und unterbrochen von immer neuen Krisen und Problemen. Kornfield fügt aus seiner Zen-Sicht heraus noch als fünftes hinzu, dass manche auch einfach in einem umfassenden Durchbruch realisierten, dass alles schon da und vollendet sei und quasi ohne Zurücklegen eines Weges direkt in den erleuchteten Zustand gelangten.
Alles offensichtlich richtig, aber eben wieder linear ausgedrückt, denn faktisch sind alle vier bis fünf Varianten Archetypen oder Randphänomene, während die Mehrzahl aller Wegbeschreiter eine hochindividuelle Kombination mehrerer bis aller Einzeltypen durchläuft. Aber mal ehrlich. Da sind wir doch alle mittlerweile weit genug, um misstrauisch zu werden, wenn die eigene AP etwa bei der Auflistung von fünf Typen schnell mit Zuweisungen im Bekanntenkreis bei der Hand ist.
Lesen wir das Buch also als Anleitung und Inspiration zu eigenem Denken und wupps! werden wir alle herrlich davon profitieren können.

Kommentare: 1
#1
Jonas (Mittwoch, 09 Dezember 2015 09:41)
Hallo Clemens,
danke für den Buchtipp, steht jetzt auf meiner Einkaufsliste. Zum Buchtitel könnte man noch ergänzend anmerken, dass das "Wäsche waschen" nach dem Durchbruch im übertragenen Sinn noch viel mehr an Bedeutung gewinnt als vorher. Der Durchbruch ermöglicht es uns erst, nunmehr aus übergeordneter Perspektive heraus unerwünschte Elementale in unseren drei Körpern (unsere "Wäsche") zu erkennen und dann herauszuwaschen. Die Weg-Arbeit kann man hier als unser hochaktives Waschmittel betrachten, waschen müssen wir aber trotzdem jeder für sich, wobei es gemeinsam aber deutlich mehr Spaß macht^^.


Frage - 10. Dezember 2015

Ein junger Mönch fragte den Meister: "Wie kann ich mich nur befreien?"
Der Meister antwortete: "Wer hat Dich nur versklavt?"
(Advaita-Lehre)


Als Adler geboren - 11. Dezember 2015

Rabbi Jakov ben Katz von Schargorod hielt neben der von ihm geleiteten Schul ein paar Hühner. Am Rand des nahen Waldes fiel in einer stürmischen Nacht ein Baum um, in dessen Krone ein Adlerpaar ein Nest gebaut hatte. Rabbi Jakov, der nächtens betend auf einer Bank gesessen hatte, ging mit seiner Lampe hinaus und fand den Baum mit dem zerschmetterten Horst. Mitten unter den Trümmern lag ein Adlerei, das noch unzerbrochen war. Er nahm es in seine Hand, barg es unter seinem Umhang und brachte es zu seinem Hühnerstall. Dort legte er es zu einem Huhn ins Nest, welches dabei war, seine Eier auszubrüten.

Als das Adlerei zusammen mit den Hühnereiern ausgebrütet war, bemühte der Rabbi sich darum, das Küken im Nest großzuziehen, denn entgegen seinen Geschwistern begann es nicht kurz nach dem Schlüpfen herumzulaufen. Er fütterte den kleinen Adler mit Würmern und ließ ihn aber ansonsten im Stall bei den Hühnern. Sobald der Adler selbst auf seinen Füßen stehen konnte, hob er unbeholfen an, mit den anderen Hühnern im Garten zu scharren und zu picken. Nach und nach lernte er alles von den Hühnern, was sie zu lehren hatten, denn er hielt sich selbst für ein Huhn und verhielt sich in allem wie sie.

Unter den Chassidim erlangte der Vogel des Rabbi Jakov schnell einige Berühmtheit und gerne gingen jene, die in der Schul des Reb ihre Gebete verrichtet hatten, anschließend auf den Hühnerhof, um den Adler zu sehen, der glaubte, ein Huhn zu sein. Er gackerte so gut er es vermochte und scharrte im Boden nach Würmern. Wenn ein paar Handvoll Körner verstreut wurden, lief der Adler mit den anderen Hühnern eilig herbei und wenn er erschreckt wurde, flatterte er wie die anderen Tiere höchstens mal ein paar Meter.

Menschen, die den Vogel zum ersten Mal sahen, setzte Rabbi Jakov ben Katz immer wieder gerne auseinander, wie es sich mit ihm verhielt: "Seht, das Tier ist scheinbar mit alldem einigermaßen zufrieden. Sicher könnte es immer etwas mehr zu fressen geben, oder der Winter ist gar lang und kalt, aber seiner wahren Natur wird sich der Adler nicht bewusst. Wenn hin und wieder einmal ein anderer Adler hoch oben vorbeifliegt in all seiner Freiheit und Majestät, flieht unser Adler sogar zusammen mit den Hühnern in den Hühnerstall. Er fürchtet sich vor dem, der ihn eigentlich erwecken könnte. Höchstwahrscheinlich wird der Adler - obwohl als solcher geboren - eines Tages als Huhn sterben. Genauso ist es im Grunde mit den Menschen."

Kommentare: 4
#1
Ludwig (Freitag, 11 Dezember 2015 13:54)
Schön, C.
#2
Clemens (Freitag, 11 Dezember 2015 14:21)
Danke, M.
#3
Ruth Finder (Freitag, 11 Dezember 2015 23:58)
Meintest du - Danke, M(artin) ;-))
#4
Clemens (Samstag, 12 Dezember 2015 14:07)
gnihihihi ^^


Vier Phasen der Erleuchtung - 12. Dezember 2015

Jack Kornfield beschreibt in seinem Buch "Nach der Erleuchtung Wäsche waschen und Kartoffeln schälen" vier Phasen tieferer und tieferer Einsicht, die zusammen den gesamten Prozess der Erleuchtung ausmachen. Er nennt die Phasen "Eintritt in den Strom", "Die Rückkehr des Alten","Keine Rückkehr" und "Großes Erwachen".

Die erste Phase "Eintritt in den Strom" beginnt mit einem ersten Durchbruchserlebnis, bei dem wir unsere Nicht-Identität mit der AP bewusst erfahren - zusammen mit der herrlichen Freiheit, die daraus erwächst. Alles das innere Schweben, das Leuchten der Dinge um uns herum, das wunderbare Erleben der "Richtigkeit" aller Vorgänge in unserem Umfeld geht damit einher.

In der folgenden Phase der "Rückkehr des Alten" beginnt die geduldige Modifikation der AP bzw. des HS innerhalb der Welten der Trennung. Wir verstehen hier, dass wir eben noch nicht mit dem Geschauten identisch sind, dem noch nicht entsprechen. Die gröbsten Arten von Anhaften und Abscheu werden dann zusammen mit ihren Ausdrucksformen Gier und Hass nach und nach aus dem Charakter, aus der Form des Selbstes eliminiert bzw. in wünschenswerten Ausdrucksformen umgewandelt.

Die dritte Phase "Keine Rückkehr" steht für die erfolgreiche Befreiung von allen Formen der Identifikation mit der AP und beinahe unerschütterliche innere Ruhe soll damit einhergehen.

Die letzte Phase ist meiner Ansicht nach nur der logische Abschluss der dritten Phase, bei dem das "beinahe" gestrichen wird und endgültig letzte Spuren der Anhaftung - selbst an der Freude an der Freiheit etc. - vergangen sind.


Sag - 13. Dezember 2015

Sag mir, was du mußt,
und ich sag dir, was du bist.
(Bruder Silvio)


Trauer - 13. Dezember 2015

Als Rabbi Jakov ben Katz von Schargorod vierzehn Jahre Alt war starb sein Vater Katz ben Jehuda. Seine Mutter nahm den Tod ihres Mannes sehr schwer. Sie weinte fast jeden Tag und verbrachte viel Zeit auf dem Friedhof, wo sie abwechselnd betete und mit ihrem Mann sprach, als könne er sie hören.

Jakov war das einzige Kind seiner Eltern und zunächst kümmerte er sich nicht nur um die Dinge, um die er sich nun an Stelle seines Vaters kümmern musste, sondern auch um vieles, was zu den Aufgaben seiner Mutter gehörte. Die jedoch sank immer tiefer hinein in ihre Trauer und obwohl Jakov sich monatelang mühte, jede anstehende Pflicht und Notwendigkeit zu erfüllen, sann er doch für sich über die Möglichkeiten zur Veränderung seiner Situation nach.

Als im Herbst eines ihrer Pferde auf der Weide starb, begann Jakov laut zu klagen, so dass die Menschen, die auf der Dorfstraße vorbeigingen, ihn hörten. Sie sahen dann, wie er versuchte, das Pferd zum Fressen zu bewegen, indem er ihm Stroh und Gras vor das Maul hielt und laut auf es einredete. Einer der Männer erbarmte sich schließlich und sprach den Jungen an: "Das Pferd ist tot, es wird nicht fressen, was denkst du?"

"Oh ja," rief Jakov, "es wird vor allem durstig sein. Ich muss ihm rasch gutes Wasser bringen."

Er sprang auf, griff sich den Eimer und lief zum Flüsschen Muraschka hinunter, um schnell wieder mit dem Wasser zurückzukommen. Sogleich redete er das Pferdchen an, das auf der Wiese lag und sich nicht rührte. Er träufelte Wasser auf sein Maul und rief immer wieder seinen Namen.

Einige der Passanten, die die Familie kannten, wurden immer besorgter. Sie wussten, dass die Mutter auf dem Friedhof sein würde und eilten dorthin um ihr zu berichteten, dass ihr Sohn verrückt geworden sei und auf welche Weise es sich äußere. Die Mutter schrak aus ihrer Trauer auf und in ihrem Schrecken lief sie schnell nach Hause, wo sie ihren Sohn fand, der inzwischen angefangen hatte, zu versuchen, das Pferd aufzurichten, indem er ihm am Kopfe zog und mit erhobener Stimme zu ihm sprach.

Die Mutter griff ihren Sohn an der Schulter und schüttelte ihn. "Was tust du, was tust du, siehst du nicht, dass das Pferd gestorben ist? Du wirst das nicht mit Futter und guten Worten ändern können. Es ist jetzt für alles Irdische unerreichbar."

Und Jakov wandte sich ihr mit leuchtenden Augen und einem seltsamen Lächeln zu: "Aber es hat hier einen Kopf und vier Beine. Wenn ich es genügend anspornen kann, kann ich es wieder zum Leben erwecken."

Da erkannte die Mutter plötzlich die Klugheit ihres Sohnes, der ja seinen lieben Vater verloren hatte und trotzdem nicht das notwendige weltliche Tun vernachlässigt hatte. Sie begriff, dass er ihr eine Lehre erteilen wollte und dass sie die letzten Monate in frucht- und nutzloser Trauer vor einem Erdhaufen und einem Stein verbracht hatte und dabei noch den einen Menschen mit allem allein gelassen hatte, der ihr am nächsten stand.

Von da an kümmerte sie sich wieder um alle Belange des Hauses, die ihr zustanden und unterstützte ihren Sohn so gut sie es konnte, denn sie wusste, dass er einmal ein Weiser werden und den Namen seines Vaters ehren würde.

Kommentare: 4
#1
Ruth Finder (Sonntag, 13 Dezember 2015 20:04)
Die Mutter in der Geschichte verdient ein Lob, denn viel zu viele Menschen würden das nicht erkennen und begreifen.
#2
Ruth Gabriel (Dienstag, 15 Dezember 2015 09:57)
Wenn wir unsere Vergangenheit trotz allen Schmerzes nicht loslassen und akzeptieren, dass die Gegenwart ist wie sie ist, dann sind wir nicht in der Lage unsere Aufgaben, unseren notwendigen Teil am Ganzen zu erfüllen. Das Füttern und Tränken des Pferdes steht für das ständige "wiederbeleben" unserer Vergangenheit, der wir immer weiter eine Form geben ("Aber es hat hier einen Kopf und vier Beine. Wenn ich es genügend anspornen kann, kann ich es wieder zum Leben erwecken."). Dieses Tun aber ist vergeblich, da nichts Neues daraus erwachsen kann. Wir werden gebraucht, alle, hier und jetzt. Und daraus erwächst Erneuerung.
#3
Ruth Gabriel (Dienstag, 15 Dezember 2015 10:01)
Jack Kornfield nennt das "die Hoffnung auf eine bessere Vergangenheit loslassen".
#4
Jonas (Mittwoch, 16 Dezember 2015 16:37)
In Lukas 9:62 wird es in diesem Bild ausgedrückt: "Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes"


Ja - 16. Dezember 2015

Das Einfache ist Wurzel der Welt,
Das Komplizierte ist Illusion des Verstandes.
Mâyâ ruft und immer antwortest du "ja".
(Bruder Silvio)


Grundlage - 17. Dezember 2015

Die Grundlage der Lehren des Schargoroders war: "Ich will euch nicht zu sehr gläubigen Menschen machen. Ich will euch zu tief gläubigen Menschen machen. Sehr Gläubige hängen sehr an der Form. Tief Gläubige gründen tief und fest in der Wahrheit."


Gottesliebe - 17. Dezember 2015

Es wird erzählt, daß Jesus einst an Leuten vorüberkam, die elend und abgemagert aussahen. Er sprach zu ihnen: »Was ist mit euch?« Sie sagten: »Aus Furcht vor der Strafe Gottes sind wir so abgemagert.« Da sagte er : »Ihr habt es vor Gott verdient, daß er euch vor seiner Strafe sicher macht.«

Darauf traf er andere Leute, die sahen noch elender und abgemagerter aus. Da sprach er: »Was ist mit euch?« Sie sprachen: »Die Sehnsucht nach dem Paradies hat uns so abmagern lassen.« Da sagte er: »Ihr habt es vor Gott verdient, daß er eure Sehnsucht erfüllt.«

Dann traf er andere Leute, die sahen noch elender und abgemagerter aus die vorigen, aber ihre Gesichter glänzten gleich einem Spiegel - Er sprach: »Was ist mit euch? Sie sagten: »Die Liebe zu Gott hat uns so werden lassen.« Da setzte er sich zu ihnen und sprach: »Ihr seid die, die Gott nahe sind, ihr seid die, die Gott nahe sind, mit euch zusammenzusitzen ist uns befohlen worden.«

(Quelle unbekannt)

Kommentare: 9
#1
Clemens (Donnerstag, 17 Dezember 2015 17:47)
Schön, aber mit einem Haken versehen, den man diskutieren könnte/sollte/müsste. Seht ihr ihn?
#2
Clemens (Donnerstag, 17 Dezember 2015 17:52)
Ich meine, ICH sehe einen Haken - es mögen mehr da sein oder der den ich sehe existiert gar nicht...
#3
Ruth Finder (Donnerstag, 17 Dezember 2015 19:19)
Von wegen ein Haken! Ich zerlege gleich die ganze Geschichte. ^^ Alle drei Fälle sind Zeugnisse einer strengen Kasteiung - in der ersten zwei Begegnungen sogar aus falschen Ansichten, die auch noch belohnt werden sollen. Im dritten (schlimmsten) Fall führt solch eine Selbstaufgabe eher weiter weg von Gott als in seine Nähe. War das vielleicht der Antichrist selbst, der die Leute da traf und ihnen falsche Versprechen und falsches Lob gab?
#4
Jonas (Freitag, 18 Dezember 2015 08:32)
Die Steigerung, die im Dreierbild dargestellt wird, ist ja grundsätzlich nachvollziehbar. Es geht von der Furcht (starres Befolgen von religiösen Vorschriften mit Angst vor Konsequenzen) über die Sehnsucht (geistiges Erwachen) bis hin zur Liebe (Einssein mit Gott). Die damit einhergehende Reduktion der AP wird schon sehr drastisch und bildlich eher unschön als Abmagerung, Verelendung der Körper dargestellt. Eine andere Stelle in der Bibel weist in einem ähnlichen Bild auch auf diesen Zusammenhang hin: "Ich muss abnehmen, er aber muss zunehmen". (nur sinngemäß, kein Zitat)
Wenn man das Beispiel konsequent zu Ende denkt ergibt sich daraus der Schluss, dass dann bei der Theose von uns als Individuum gar nichts mehr übrigbleibt. Aus verschiedenen Überlegungen heraus scheint mir das aber nicht so zu sein. Ein kleines Häkchen?
#5
Clemens (Freitag, 18 Dezember 2015 11:15)
Grundsätzlich nachvollziehbar schon, aber nicht zwingend erkennbar. Ich habe diese hierarchische Reihe garnicht gesehen. DIe ersten beiden erschienen mir schlicht als Abweichungen - und den Haken sah ich bei dem dritten Treffen. Obwohl Du, Jonas, dem auch noch einen logischen Sinn gibst. Ich bin einfach daran hängengeblieben, dass diejenigen, die den richtigen Weg beschreiten (der Gottesliebe), garnicht zwingend abgezehrt aussehen müssten (obwohl mir da auch denkbare Beispiele einfielen). Das Klingt ja auch in Deinem Theosezweifel an. Spirituell gesehen können wir auch die ganze Zeit abnehmen OHNE weniger zu werden, oder?
#6
Jonas (Freitag, 18 Dezember 2015 11:47)
Ich bin möglicherweise das lebende Beispiel dazu, dass man spirituell abnehmen kann und trotzdem an Körpergewicht noch zulegen kann^^.
#7
Clemens (Freitag, 18 Dezember 2015 14:20)
hahaha :o)
#8
Ruth Gabriel (Freitag, 18 Dezember 2015)
Mir stellte sich zudem noch die Frage nach den glänzenden Gesichtern. Leuchtende Gesichter und glänzende Augen okay. Aber glänzende Gesichter? Bei meiner Recherche bin ich dann auf folgendes gestoßen:
„Als nun Mose vom Berge Sinai herabstieg, hatte er die zwei Tafeln des Gesetzes in seiner Hand und wusste nicht, dass die Haut seines Angesichts glänzte, weil er mit Gott geredet hatte.“ (2. Mose 34, 29)
Der Glanz auf dem Gesicht als Zeichen der Begegnung mit Gott, als Abglanz des – dem menschlichen Auge unsichtbaren - Gottes.


Orchidee - 20. Dezember 2015

"Eine Modepflanze, wie spießig ist das denn", hatte ich mir vor ein paar Jahren gedacht, als ich fast in jedem Fenster Orchideen gesehen habe. Ich habe damals angefangen, eine Arztpraxis zu putzen und zu meinen Aufgaben gehörte auch, Praxispflanzen zu gießen, unter anderem eine - ratet mal - ja, eine Orchidee. Die hat gerade ihre ersten Blüten verloren und stand bald ganz "nackt" da. Ich wusste nichts von Orchideen - nur dass sie sehr wenig Wasser brauchen und quasi von der Luft und dem Licht leben. Jedesmal, wenn ich die Orchidee gegossen habe, habe ich sie skeptisch beäuget, und sie stand da so - mit leeren Trieben - und es rührte sich in ihr garnichts. Bis eines Tages an mehreren Stellen die ersten winzigen Blütenansätze sichtbar wurden. Mein Interesse war geweckt und ich habe ab diesem Moment die Orchidee erwartungsvoll beobachtet. Es währte lange und nach etlichen Wochen stand die Orchidee wieder in ihrer ganzen Blütenpracht. Es hat mir richtig große Freude bereitet, dieses Werden zu erleben. Eine Orchidee ist für mich jetzt - was die spirituelle Entwicklung eines Menschen betrifft - zu einem Symbol der Genügsamkeit und des beharrlichen, stetigen Streben geworden, an dessem Ende etwas ganz schönes zum Vorschein kommt.
Noch besser könnten die folgende Zeilen aus dem Buch " Reise in die Unsterblichkeit" das oben Geschriebene zum Ausdruck bringen:

"...alles Leben ist ein Werden und Wachsen, ein Übergang von heute auf morgen, bei dem jedes kleine Geschehnis am Rande seine Rolle spielt. Plötzliche Veränderungen sind nur Schein; wenn wir näher schauen, werden wir sehen, dass sie nur Wirkung sind von Ursachen, die schon seit langem - vielleicht still und unbeachtet - am Werk waren. Jede Ausdehnung wirkt von innen nach außen. Du kannst nicht sehen, wie die Blume ihre Blütenblätter entfaltet, dennoch aber tut sie dies, während du sie noch aufmerksam beobachtest. Ebenso ist es mit der Seele, sie hastet nicht vorwärts, sondern entfaltet sich langsam, und ihre Entwicklung wird uns nur bewusst durch die Stadien, die wir erreichen."

Jetzt höre ich aber auf zu schreiben und hole ein bisschen Wasser. Ich muss nämlich meine (!) Orchidee gießen und ich möchte sie eine Weile anschauen.
(Ruth Finder)

Kommentare: 1
#1
Ruth Gabriel (Sonntag, 20 Dezember 2015 21:46)
Es gibt Zeiten, in denen wir uns nackt und bloß fühlen und wir meinen, das beständige Werden nicht erkennen zu können. Doch können wir darauf vertrauen, dass eine Blüte wachsen wird – wenn wir an unserem Bemühen festhalten. Das ist gewiss.


Wahrheit - 23. Dezember 2015

Das Verstehen der Wahrheit kann nicht erworben werden. Es kann nur geschehen... Und wenn es geschieht, kann es nur angenommen werden, wenn der Verstand frei von einem Ich und das Herz voller Liebe ist.
(Ramesh S. Balsekar)


Der Pfad... - 25. Dezember 2015

...ist schön und einfach und entzückend und vertraut.
(Meister Eckhart)


Der Weg des Schweigens - 30. Dezember 2015

Ob der Schüler nun hineingeht und sich in die Liebe und Güte seiner Gottheit versenkt oder hinausgeht, indem er Christus in seinem menschlichen Leiden betrachtet, er wird geistliche Nahrung in Fülle finden. Käme er auch in diesem Leben nie weiter, er hätte Frömmigkeit in reicher Fülle, ja mehr als genug, die Gesundheit seiner Seele zu erhalten und zum Heile zu gelangen.
Doch manche werden sich weigern, durch diese Tür einzutreten. Sie glauben auf anderen Wegen die Vollendung zu erlangen. Sie versuchen, mit allen Finessen, an dieser Tür vorbeizukommen. Sie gestatten ihren unerzogenen Sinnen und ihrem undisziplinierten Denken ausgefallene Ideen und seltsame Phantasien und weisen den allgemeinen offenen Zugang sowie die verläßliche Führung eines geistlichen Vaters ab. Wer das tut - mag er sein, wer immer - ist nicht nur ein Dieb bei Nacht, sondern auch ein Tagedieb.
Ein Dieb bei Nacht, weil er in der Dunkelheit der Sünde lebt. In seinem Hochmut vertraut er seinem eigenen Verstand und seinen ausgefallenen Ideen mehr als klugem Rat oder der Sicherheit dieses schlichten, leicht erkennbaren Weges, den ich beschrieb.
Er ist auch ein Tagedieb, denn unter Vortäuschung eines geistlichen Lebens stiehlt er heimlich und maßt sich nach außen den Stil eines Kontemplativen an, während sein inneres Leben keine entsprechende Frucht bringt.
Empfindet er gelegentlich ein leises Verlangen nach Vereinigung mit Gott läßt der Schüler sich dadurch täuschen und glaubt sich in seinem Tun bestätigt. Er versteift sich noch mehr, lehnt jeglichen Rat ab und geht den gefährlichsten Weg, den es gibt.
Die Gefahr wächst noch mehr, wenn er ehrgeizig hohen Zielen nachjagt, die für ihn unerreichbar sind und abseits des normalen, deutlichen Weges des christlichen Lebens liegen.
(vom Autor der "Wolke des Nichtwissens")