Lassen

Bruder Eckhart predigte und sprach: Sankt Peter sprach: ich habe alle Dinge gelassen. Da sprach Sankt Jakob: wir haben alle Dinge weggegeben. Da sprach Sankt Johannes: wir haben gar nichts mehr. Da sprach Bruder Eckhart: wann hat man alle Dinge gelassen? So man alles das lässt, was der Sinn greifen kann, und alles, was man sprechen kann, und alles, was Farbe machen kann, und alles, was man hören kann, dann erst hat man alle Dinge gelassen. Wenn man so alle Dinge lässt, so wird man von der Gottheit durchklärt und überklärt.

 

(Meister Eckhart, Sprüche 8)

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Kommentare: 4
  • #1

    Linda (Samstag, 06 November 2021 07:06)

    Bedeutet das, sich nicht ablenken zu lassen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren?

  • #2

    Ruth Finder (Samstag, 06 November 2021 11:44)

    Ich verstehe das so:

    Die drei Sankts sprachen von den greifbaren materiellen Dingen, sozialen und gesellschaftlichen Bindungen.

    Bruder Eckhart spricht von der subtileren Materie - Gedanken, Gefühle, Emotionen, sinnliche Eindrücke - und daraus resultierenden meist höchst subjektiven, fast ausschließlich vom Intellekt produzierten Vor-Stellungen, Wahrnehmungen, Schlussfolgerungen über die Welt und über sich selbst. Kopflastigkeit - das ist in der Tat schwerer zu lassen.

  • #3

    Ruth Finder (Samstag, 06 November 2021 16:47)

    Ergänzung zu #2:

    Auch denke ich, dass "von der Gottheit durchklärt und überklärt" zu sein (zumindest, wenn vor einem noch ein lange Weg liegt), bedeutet, die bestmöglichen Gedanken, Gefühle, Emotionen, Taten zu haben, zu denen man in der Lage ist; bedeutet, so gut es geht, im Einklang mit unserer höheren Natur zu sein.

    Ich würde deswegen den Satz "Nur mit dem Herzen sieht man gut" so nicht "unterschreiben".

    Eher wäre für mich hier momentan diese Geschichte passender:

    Himmlische Arithmetik

    Eine kleine Enkelin von Rabbi Jakov ben Katz stürmte übermütig bei dem Fangenspiel mit ihren Geschwistern in die Stube, wo sich der Rabbi gerade mit einigen seiner Schüler über den Weg des Menschen unterhielt. Im gleichen Moment schnappte das Mädchen auch den letzten Satz auf, den der Reb an seine Zuhörer richtete. Er sagte: „Also, eins und eins macht drei!“

    Fragend wie auch die Schüler schaute die Kleine - in der Familie durften auch alle weiblichen Mitglieder lesen und schreiben lernen - den Rabbi an. Sie zog schüchtern am Rabbis Mantel und sagte leise: „Aber Großvater, eins und eins macht doch zwei?!“

    Der Rabbi streichelte liebevoll über ihren Kopf und bestätigte: „Recht hast du, mein Kind, Recht hast du. Na, geh weiter spielen!“

    Als die Enkelin weg war, drehte er sich wieder zu seinen Schülern um und vollendete seinen Satz: „Ein liebendes Herz und ein aufgeweckter Geist machen rechte Gedanken, rechtes Reden und rechtes Tun.“

    Die Schüler nickten diesmal zustimmend.

  • #4

    Linda (Donnerstag, 11 November 2021 21:17)

    Sehr schön!!!