Meister Eckhart sprach: Wem in einem anders ist als im andern und wem Gott lieber in einem als im andern ist, der Mensch ist gewöhnlich und noch fern und ein Kind. Aber wem Gott gleich ist in allen Dingen, der ist zum Mann geworden. Aber wem alle Kreaturen überflüssig und fremd sind, der ist zum Rechten gekommen.
Er ward auch gefragt: wenn der Mensch aus sich selbst herausgehen wollte, ob er noch um etwas Natürliches sorgen sollte? Da sprach er: Gottes Bürde ist leicht und sein Joch ist sanft; er will es nirgends als im Willen; und was dem trägen Menschen ein Graus ist, das ist dem hingerissenen eine Herzensfreude. Es ist niemand Gottes voll als wer im Grunde tot ist.
(Meister Eckhart, Sprüche 3)
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Linda (Samstag, 30 Oktober 2021 10:47)
Ich habe bei beiden Absätzen Schwierigkeiten mit dem jeweils letzten Satz. Kann jemand mir helfen?
C. (Samstag, 30 Oktober 2021 11:15)
Ist wie üblich recht hundertprozentig formuliert und dient insofern vor allem der Ausrichtung und der Definition des Tätigkeitsbereiches, also dessen, worauf wir in der Praxis achten sollen.
Erstmal zum zweiten Satz: "Es ist niemand Gottes voll als wer im Grunde tot ist." Kurz und logisch gesagt, kannst du nicht gänzlich Gottes VOLL sein, solange du noch zu welchem Teil auch immer voll von dir selbst bist. Wenn Gott Apfelsaft wäre, und du Mineralwasser, dann würde immer nur Schorle entstehen, wenn Du Gott in dein Glas (AP? Selbst?) füllst, solange noch Mineralwasser drin ist. Faktisch arbeiten wir daran, die Apfelsaftkonzentration in der Schorle zu erhören!
C. (Samstag, 30 Oktober 2021 11:23)
"Aber wem alle Kreaturen überflüssig und fremd sind, der ist zum Rechten gekommen." Der Satz lässt sich ähnlich angehen. Er sagt nicht, dass du nicht Beziehungen zu "Kreaturen" haben sollst. Sie sollen dir nur nichts bedeuten - also keinen egoistischen Raum in deinem "Glas" einnehmen. Denke da wieder an den Buddhaspruch: "Liebe nicht, hasse nicht, sei nicht gleichgültig." Das ist ein wenig paradox, lässt sich aber erfahren, indem wir unseren eigenen Motivationen gegenüber frei werden - also den GRÜNDEN, warum wir Beziehungen haben (wollen). Wahrscheinlich werden die Beziehungen dann sogar noch wesentlich angenehmer. Möglicherweise sogar für das Gegenüber.
TvB (Samstag, 30 Oktober 2021 11:55)
Wieso möglicherweise, Clemens?
Ruth Finder (Samstag, 30 Oktober 2021 14:32)
Zum zweiten Satz:
Rabbi Dow Bär von Mesnitsch war ein bekennender Nondualist. Er sagte: "Bevor ein Ei zu einem Hühnchen heranwachsen kann, muss es zuerst ganz aufhören, Ei zu sein. Jedes Ding muss seine ursprüngliche Identität verlieren, bevor es etwas anderes werden kann. Bevor also etwas in etwas anderes transformiert wird, muss es auf die Ebene des Nichts kommen."
Ruth Finder (Samstag, 30 Oktober 2021 14:47)
Zu #3:
Ich würde sagen "in seltensten Fällen" statt "möglicherweise".
Der Andere möchte (kann erstmal nicht anders als) doch weiter das Drama leben. Denn nichts anderes ist es, was die AP veranstaltet. Nur wenige können mit der Freiheit umgehen.
C. (Samstag, 30 Oktober 2021 17:52)
"Möglicherweise sogar für das Gegenüber." Beziehungen sind in der Regel nicht freilassend, sie sind an wechselseitige Bedingungen/Erwartungen geknüpft und durch eigenen "Einsatz" quasi "bezahlt".
"Drückst Du mir meinen Knopf, drücke ich Dir Deinen Knopf." Wenn beide Seiten annehmen, dass sie idealerweise mehr bekommen, als sie geben, dann funktioniert die (konventionelle) Beziehung. (Bei fifty-fifty kann es schon eng werden. Darunter ist sie zum Untergang verdammt.)
Diese Bedingungserfüllungen werden auch als Macht haben empfunden. Steigt eine Seite aus den Abhängigkeits- und Machtstrukturen aus, wird dies leicht als Verlust empfunden. Selbst wenn sich am beziehungsinternen Miteinander nichts ändert.
Linda (Montag, 01 November 2021 16:49)
Vielen Dank! Beide Erklärungen sind sehr anschaulich, sowohl die Schorle als auch das Ei!