
Der Greis und der Esel
Auf seinem Esel ritt ein alter Mann - er fand
ein üppig grünes Wiesenland,
stieg ab und läßt den Esel grasen.
Der wirft sich auf den weichen Rasen,
wälzt sich, indem er fröhlich kaut,
springt, hüpft und schreit vor Wonne laut
und hat manch Plätzchen kahlgefressen.
Doch, ach, es naht der Feind indessen.
«Nun laß uns eiligst fliehen!» ruft
der Greis, «Weshalb?» fragt ihn der Schuft.
«Trag' doppelt ich? Meinst du, daß man zu zwei'n mich reite?»
«Das nicht», sagt ihm der Greis und sucht dann schnell das Weite.
«Was liegt mir dran, wem ich gehöre?» spricht das Tier.
«Laß mich nur hier, ich bleibe gern;
als Feind betracht' ich meinen Herrn.
Nun flieh so schnell du kannst von hier!»
(La Fontaine - Fabeln)
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R.G. (Samstag, 21 August 2021 07:06)
Mein Versuch einer Deutung:
"Seid in der Welt, aber nicht von der Welt."
In einer anderen Übersetzung dieser Fabel heißt es am Schluß:
"...unser Feind ist, dem wir dienen...."
Das heißt, wir müssen die Welt nicht fliehen, dürfen ihre Schönheit auch genießen. Aber wir dürfen dem Weltlichen nicht dienen.
R.G. (Samstag, 21 August 2021 07:26)
Ergänzung zu #1:
Wir KÖNNEN die Welt gar nicht fliehen. Von daher bezieht sich das auf alles, z.B. auch auf den Umgang mit unseren "weltlichen" Mitmenschen, mit denen wir ja in diversen Zusammenhängen zu tun haben, sei es im Privaten als auch im Beruflichen. Damit es dort "funktioniert" kommen wir um eine gewisse Handhabung nicht umhin. Wir müssen aber immer unsere eigene Motivation überprüfen, uns also fragen, wem wir dienen. Letztlich müssen wir uns immer mehr in die Lage versetzen, uns innerlich aus dem Spiel zu nehmen.
R.G. (Samstag, 21 August 2021 07:42)
Ergänzung zur Ergänzung:
Wir leben nun einmal in einer 95%-Welt und damit müssen wir so gut wie möglich klarkommen. Dies sagt ja auch deutlich etwas über unseren eigenen Entwicklungsstand aus.^^