Sanftmütig

Die zweite Seligpreisung lautet: »Selig sind die Sanftmütigen. Auf ewig werden sie das Erdreich besitzen.« Hier kommt man der Seligkeit einen Schritt näher; mit der wahren Armut nämlich befreit man sich von den Hindernissen, aber mit der Sanftmut dringt man tiefer in den Grund und treibt alle Bitterkeit, allen Zorn, allen Mangel an ruhiger Überlegung aus, wie denn geschrieben steht: »Dem Reinen sind alle Dinge rein«; aber auch dem Sanftmütigen ist kein Ding bitter. Dass dem Guten alle Dinge gut sind, kommt von dem guten, lauteren Grund. Ihr Lieben! Vormals waren es die Heiden, die die Freunde Gottes marterten, vorbereiteten, reinigten; jetzt aber werden die gutscheinenden Christen das tun, und die Wunden die diese zufügen gehen tief; denn es sind unsere Nachbarn. Wendest du dich Gott zu, so sagen sie, du seiest verwirrt, geistig krank, ein Sonderling und alles sei Trug. Da greift die Sanftmut ein, weist dich den rechten Weg und kehrt zu dir selber in deinen Grund ein, damit du die Beschimpfung als von Gott zugelassen nehmest und nicht als von den Menschen kommend betrachtest. So bleibst du im wahren Frieden und sagst: Welchen Schaden kann dir jemand zufügen, wenn du Gott zum Freund hast? Und so besitzt der Sanftmütige sein Reich, dass er im Frieden bleibt, was auch auf ihn fallen mag. Handelst du, aber nicht so, dann verlierst du die Tugend der Sanftmut und deinen Frieden dazu und dein Verhalten ist dem eines knurrenden Hundes gleich.

(Johannes Tauler)

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Kommentare: 1
  • #1

    R.G. (Mittwoch, 07 Juli 2021 06:40)

    "„Die Sanftmut steht im Gegensatz zur Gewaltsamkeit. … Sanft ist er (der Mensch), wenn er sich nicht vom Zorn hinreißen läßt, ohne vermeidbare Härte im Affekt, weich und behutsam. Sanftmut bezeichnet dabei nicht nur eine Weise des Verhaltens, sondern mehr noch eine Beschaffenheit der Gesinnung. … Die Sanftmut des Verhaltens verbindet sich sodann mit der Behutsamkeit im Umgang. Diese Behutsamkeit ist eine Art von Vorsicht, die keinen Schaden an den andern Menschen … herankommen lassen will.“
    Bollnow: Die Tugend der Geduld[4]"

    Besonders interessant finde ich den letzten Absatz. Ein sanftmütiger Mensch lässt sich nicht alles gefallen, aber vermeidet es, den Anderen zu verletzen.