Geistiges Gesetz 6

33 Wenn wir durch das Gewissen gewaltsam genötigt werden, alle Gebote recht zu vollbringen, dann werden wir erkennen, daß das Gesetz des Herrn makellos ist und wir uns zwar mit unseren guten Taten darum bemühen, es jedoch ohne die Erbarmungen Gottes unmöglich unter den Menschen erfüllt wird.

34 Alle, die nicht zu der Überzeugung gelangt sind, daß sie Schuldner eines jeden Gebotes Christi sind, nehmen das Gesetz Gottes in fleischlicher Weise zur Kenntnis, ohne zu verstehen, was sie sagen und worüber sie feste Behauptungen aufstellen. Darum meinen sie auch, es durch Werke zu erfüllen.

35 Es ist möglich, daß jemand eine offensichtlich gute Tat vollbringt und seine Absicht nicht auf das Gute abzielt. Dagegen gibt es eine scheinbar böse Tat, doch ist die Absicht des Ausführenden auf das Gute gerichtet. Und nicht nur Werke vollbringen manche auf diese eben erwähnte Weise, sondern sprechen so auch Worte. Die einen nämlich verändern ihre Tat durch Unerfahrenheit oder Unwissenheit, die anderen durch bösen Vorsatz, wieder andere durch fromme Absicht.

36 Wer unter dem Vorwand von Lob Vorwurf und Tadel verbirgt, ist von den Einfältigeren schwer zu durchschauen. Ihm ähnlich ist, wer in demütiger Haltung nach eitler Ehre trachtet. Lange Zeit überlisten diese die Wahrheit durch ihren Trug, und man läßt ihnen den Vortritt, doch zuletzt werden sie durch ihre Taten überführt.

37 Es ist möglich, daß jemand eine offensichtlich gute Tat voll bringt, indem er dem Nächsten Recht schafft. Und es gibt den, der in seiner geistigen Verfassung Nutzen daraus zieht, daß er es nicht tut.

38 Es gibt eine Zurechtweisung aus Bosheit und aus Vergeltung, und es gibt eine andere in der Furcht Gottes und in der Wahrheit.

39 Wer mit der Sünde aufgehört hat und künftig ein anderes Leben führt, den weise nicht mehr zurecht. Sagst du aber, du weisest ihn dem Willen Gottes entsprechend zurecht, dann decke zuerst deine eigenen bösen Taten auf.

 

(aus Markos der Asket, Zweihundert Kapitel über das geistige Gesetz)

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Ruth Finder (Sonntag, 20 Juni 2021 14:45)

    #39: Dazu gibt es - aus einem bestimmten Winkel gesehen - eine passende Katz-Geschichte. Wobei ich aus dem Spruch nicht so ganz schlau werde. Hat jemand eine Erklärung?


    Rabbi Jakov ben Katz war mit Pinchas und Seckel, zweien seiner Schüler, auf dem Weg zur Schul. Pinchas war der fleißigste und auch der ehrgeizigste unter allen seinen Schülern, der nach der Schul meist noch angestrengt in der Bibliothek in den Schriften las, während Seckel des Öfteren nach getaner Arbeit ruhend unter einem Baum anzutreffen war. Die drei ließen sich Zeit und schlenderten gemütlich über den Markt, angeregt in ein Gespräch vertieft, als plötzlich ein zerlumpt aussehender Fremder sie um ein Almosen anbettelte. Seckel kramte eilig in seinen Taschen nach etwas Geld, fand allerdings nur eine einzige Münze, da er sein letztes Geld großzügig für sein leibliches Wohl ausgeben hatte. Beschämt schaute er zu Rabbi ben Katz hinüber und reichte dem Fremden die einzelne Münze.
    Pinchas zog eine Augenbraue hoch und zückte kurzerhand mehrere Münzen, die er dem Bettler übergab.
    Auf dem restlichen Weg zur Schul ermahnte Rabbi ben Katz seinen Schüler, dessen Neigung zu Brot und anderen Leckereien ihm nicht verborgen geblieben war, zur Mäßigung.
    Einige Tage später stießen die drei erneut auf den Bettler. Diesmal hielt Seckel, welcher sich seit dem letzten Mal versucht hatte in Sparsamkeit zu üben, stolz zwei Münzen hin.
    Pinchas begutachtete mit hochgezogenen Augenbrauen Seckels Freude über seinen winzigen Fortschritt und zog seinerseits fünf Münzen aus seiner Tasche.
    Verwirrt über das Ausbleiben einer weiteren Ermahnung Seckels drehte sich Pinchas zu Rabbi ben Katz um. Der Rabbi lächelte und ermahnte Pinchas zur Mäßigung.
    (Phia)

  • #2

    R.G. (Sonntag, 20 Juni 2021 15:33)

    Ich verstehe Spruch 39 so:
    Es ist nicht notwendig, jemanden zurechtzuweisen, der ein wenig zu weit links oder rechts geht oder etwas schleppend oder hinkend, solange er gut auf dem Weg ist.
    Wer dennoch meint, diesen zurechtweisen (den rechten Weg zeigen) zu müssen, sollte sehr genau überprüfen, ob er selbst nicht auf dem Holzweg ist.

  • #3

    C. (Sonntag, 20 Juni 2021 19:42)

    Wenn die "Umkehr" (der Beginn des Beschreitens des spir. Pfades) stattgefunden hat, dann ist man in einen Prozess eingestiegen, der sich bis zu einem gewissen Grad selbst trägt. Da kann man den Schüler ruhig erstmal lassen... Das ist allerdings keine absolute Wahrheit, denn a) kann der Schüler ja Zurechtweisung WOLLEN und sie kann b) eben trotzdem manchmal auch ungewollt notwendig werden, da Stagnation aufgrund der Integrationskräfte der AP quasi eine Gegenkraft zum sich selbst tragenden Prozess der Umkehr ist. Zwischen diesen Polen fließt die Position eines Schülers beständig.

    "Zurechtweiser" - das sind wir ja manchmal gerne und vermischen dabei eigene Defizite und Bedürfnisse mit dem möglicherweise wirklich vorhandenen "Willen Gottes" - also der tatsächlichen NOTWENDIGKEIT einer Zurechtweisung. Da ist Raum zur Selbstreflexion. Wie RuGa ja schon schrieb.

    Es klingt in meinen Ohren aber auch eine Methode an, wie wir sie häufig anwenden: Wenn wir Defizite des Anderen ansprechen, dann sprechen wir zugleich auch oft von eigenen Defiziten gleicher Art oder anderer Art aber gleicher Schwierigkeit. Das ist einerseits eine Übung in Demut und Realismus, andererseits aber auch ein Hinweis darauf, dass wir uns nicht über den Anderen stellen (wollen). Das macht das Annehmen von Kritik in der Regel leichter und den Widerstand der AP geringer.

    Klar, das SOLLTE eigentlich alles nicht nötig sein... Auf unserer Stufe ist es das aber offensichtlich.