27 Die Schrift nennt den Glauben die Grundlage dessen, was man erhofft, und sie bezeichnet jene, die die Einwohnung Christi nicht wahrnehmen, als Versager im Glauben.
28 Wie durch Wort und Tat die Gesinnung offenbar wird, so auch durch die Wohltaten des Herzens die künftige Belohnung.
29 Ein Herz, das sich erbarmt, wird sicherlich Erbarmen finden. Auf das gegenteilige Verhalten aber antwortet, was darauf folgt.
30 Das Gesetz der Freiheit lehrt jegliche Wahrheit. Die meisten werden seiner erkenntnismäßig inne, doch wenige verstehen es - in dem Maß, wie sie die Gebote erfüllen.
31 Suche seine Vollkommenheit nicht in den menschlichen Tugenden, denn in ihnen wird es nicht in seiner Vollkommenheit gefunden. Seine Vollkommenheit ist nämlich im Kreuz Christi
verborgen.
32 Das Gesetz der Freiheit wird durch wahre Erkenntnis wahrgenommen, durch die Verwirklichung der Gebote verstanden - erfüllt wird es jedoch durch die Erbarmungen Christi.
(aus Markos der Asket, Zweihundert Kapitel über das geistige Gesetz)
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C. (Donnerstag, 17 Juni 2021 18:46)
Da steckt ja wieder einiges drin. Was will uns beispielsweise die 30 sagen? Oder könnte es wollen?
C. (Donnerstag, 17 Juni 2021 18:51)
29 - Karma in recht ungewöhnliche Worte gefasst. Auch eine interessante Übung: Altbekannte Wahrheiten (Arbeitshypothesen) in völlig neue Worte fassen. Das ist verdammt schwer. Schön, wenn man es mal exemplarisch vorgemacht bekommt. Aber vielleicht ist 29 für Markos schlicht eine altbekannte Wahrheit und er hätte umgekehrt die gleichen Probleme. ^^
R.G. (Freitag, 18 Juni 2021 15:28)
Ich verstehe 30 und die folgenden Absätze so:
Das Gesetz der Freiheit als das Frei-werden von sich selbst, von der Identifikation mit der AP und der daraus entstehenden Trennung von Gott, verstehen auf der Ebene des Verstandes viele. Doch in dem Maße, wie sie die Gebote erfüllen, nur wenige. Heißt, viele bleiben an der Form hängen. Vollkommenheit findet sich nicht in der Ausübung der Tugenden (Form), wenn sie nicht Hand in Hand geht mit dem Öffnen des Herzens, dem Aufgeben des Eigenwillens, der Hingabe zu Gott, dem Einstimmen auf den göttlichen Willen (Inhalt). Immer mehr von dem wegzunehmen, was dem im Wege steht (Weg-Arbeit) und ihm individuell Ausdruck zu verleihen. Die sieben Selbstgelöbnisse bringen es auf den Punkt.
R.G. (Freitag, 18 Juni 2021 15:31)
Aus/in Liebe zu Gott allem begegnen können/wollen.
Linda (Freitag, 18 Juni 2021 17:09)
Ich habe Schwierigkeiten mit der 27: was ist mit der Wahrnehmung der Einwohnung Christi gemeint? Bin ich ein Versager, wenn ich das alles noch nicht fühle? Denn mich hat es im Herzen noch nicht ganz erreicht, ich hänge noch am Verstand fest, der mir sagt, dass das alles so richtig ist....
Ruth Finder (Freitag, 18 Juni 2021 19:15)
Ich würde hier unter dem "Gesetz der Freiheit" das Gesetz des freien Willen verstehen. Vielleicht sogar tatsächlich einer der höchsten Gesetze. Sonst wäre ein Mensch eine Maschine/ ein Tier/ eine Marionette Gottes. Durch den freien Willen lernen wir jegliche Wahrheiten im Gutem wie im Schlechten. Die meisten verstehen dieses Gesetz falsch als "Ich kann tun und lassen, was ich will" und die wenigsten richtig als "Ich habe freien Willen, dem Gesetz/ den Geboten - letzendlich dem Willen Gottes(!) - zu folgen." Eines der vielen Paradoxa, das es zu verstehen gilt.
C. (Freitag, 18 Juni 2021 19:20)
# Linda: Vielleicht sagt dir dein Verstand, dass alles so richtig ist, weil du die Richtigkeit fühlst. Nur fühlst du nicht, dass du es fühlst, weil du eine bestimmte Vorstellung davon hast, was Fühlen ist. Denke an meinen Kommentar zur SpinPsych vor ein paar Tagen. Daneben ist es immer gut, Hundertprozentigkeiten zu meiden. Kaum jemand "fühlt" nichts, kaum jemand alles.
Linda (Samstag, 19 Juni 2021 06:35)
Danke, ich habe es nun besser verstanden!
Ruth Finder (Samstag, 19 Juni 2021 10:42)
Aus meiner Sicht ist der Nebensatz "was man erhofft" der zentrale Punkt der Aussage. Und zwar dahingehend, dass er auf den Unterschied zwischen Religion und Spiritualität, zwischen Form und Inhalt, zwischen Götzendienst und Gottesdienst hinweist.
Ruth Finder (Samstag, 19 Juni 2021 16:56)
Ergänzung zu #9:
Denn die Religiösen, die Formfixierten, die Götzendiener glauben ja auch. Und dennoch versagen sie ihrem Glauben, weil sie an dem wahren Glauben vorbei glauben. Ihr Glaube ist äußerlicher und nicht innerlicher Natur; oberflächlich und nicht tiefgründig (ist in der Welt (AP) über der Welt (HS) angesiedelt). Deswegen können sie die Einwohnung Gottes nicht wirklich wahrnehmen bzw. verorten.
"Wo wohnt Gott?" Mit dieser Frage überraschte Rabbi Mendel von Kozk einige gelehrte Männer, die bei ihm zu Gast waren.
Sie lachten über ihn: "Wie redet Ihr! Ist doch die Welt seiner Herrlichkeit voll!"
Er aber beantwortete die eigene Frage: "Gott wohnt, wo man ihn einlässt."
R.G. (Samstag, 19 Juni 2021 17:16)
"Gott wohnt, wo man ihn einlässt."
Wir müssen also nur zur Seite treten, um ihn einzulassen...
Linda (Montag, 21 Juni 2021 07:51)
Danke euch, sehr gut!!!