Das Wirken Gottes II

Aber er waltet nicht bloß etwa auf körperlichem Gebiet, sondern in allem Leben, auch im geistigen und religiös sittlichen.

Wir erfahren diesen Wiederherstellungsdrang in der Scham, dem Ekel, der Reue, die über uns kommt, wenn wir uns vergangen haben, in der Auflehnung unseres Gewissens gegen das Böse, das wir taten, in der unwillkürlichen Selbstbesinnung und Selbsterkenntnis, die uns außer uns geraten läßt, in der Öffnung unserer Augen für Selbsttäuschung und Wahnbefangenheit.

Wir erleben ihn als sein Erbarmen, mit dem er alles, was Leben hat, umfaßt, trägt, erhält und betreut.

Es ist, solange die Welt steht, eine unerschütterliche Naturordnung, daß jede Versündigung gegen die Wahrheit, jede Verkehrung der Natur Unheil, Krankheit, Leiden, Entartung, Verderben und schließlich Sterben und Verwesen zur Folge hat.

Aber das ist weder Zorn noch Strafe Gottes, wie es den Menschen auf Grund ihres eigenen Verhaltens erscheint, sondern das Gericht Gottes, das ganz naturhaft elementar über alles ergeht, was dem schöpferischen und herrschenden Urwillen Gottes widerspricht, ein gerechtes, d. h. unbestechliches, unbeugsames, unaufhaltbares Wirken Gottes, ohne Ansehen der Person oder der Umstände.

Ob man es für Sünde hält oder es in der Ordnung befindet, es bereut oder vertritt, ist ganz gleich.

Die Sünde wirkt sich im Übel aus kraft der richtenden Energie Gottes, ahnungslos oder fühlbar für den Einzelnen, aber immer energisch und unaufhaltsam.

Das Gericht ist Gnade und die Gnade wird von den Menschen, grade wenn sie als Liebe und Erbarmen erfahren wird, wie ein Gericht über sich selbst erlebt.

Wir wollen immer Urheber sein, d. h. von uns aus alles wissen, können, wählen, unternehmen, gestalten, vorsehen, planen, führen und bestimmen.

Damit treten wir in Widerspruch zu unserer kreatürlichen Konstitution.

Für alles, was von dem Menschen ausgeht, von ihm getan wird, aus seinem Wissen und Können, aus seiner Kraft und Anstrengung heraus, ist Gott absolut nicht zu haben.

Dabei hilft er nicht, auch wenn wir ihn noch so sehr darum bitten.

Man denke an alle möglichen Gründungen von Regierungen, Menschen und Vereinen. Vom ersten Tage an beginnt dann jedesmal ein verzweifelter Kampf und eine dauernde Mühe, das am Leben zu erhalten, was an sich nicht leben kann.

Es ist alles nichtig, eitel, untauglich und faul, dem Tode überantwortet, weil es des schöpferischen Lebens von Gott entbehrt.

Aber alle, die in ihrem Leben ergriffen durch Aufgaben und Schicksale sich selbstvergessen allem ergeben, was sie in Anspruch nimmt, erfahren das Walten Gottes als die vertrauteste persönliche Fürsorge und Leitung.

 

(aus Johannes Müller, "Das Urgeheimnis")

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