Gotteserkenntnis III

Wie nach Luther alles, was aus unsern Absichten und Willen hervorgeht, Menschenwerk ist, und als solches Sünde, so ist alles, was wir uns selbst ausdenken, Irrtum, auch wenn wir es unter Gebet mit Gottes Hilfe tun.

Die Vorbedingung der Gotteserkenntnis ist, - daß wir uns nicht nur arm und unvermögend fühlen, sondern es auch wirklich sind, daß unser Inneres nichts ist als ein Hohlraum für seine Gnade.

Es ist mir gar kein Zweifel, daß Gott direkt zu uns spricht, aber grade nicht durch unsere Gedanken. Denn unsere Gedanken sind eben nicht seine Gedanken und unsere Wege nicht seine Wege, sondern "so hoch der Himmel über der Erde ist, sind seine Gedanken höher als unsere Gedanken und seine Wege höher als unsere Wege".

Sein Organ und Zugang zum Menschen ist die Seele.

Hier gibt er sich kund, auch unvermittelt, direkt, z. B. in Scham und Reue, die über uns kommt, in Spannung und Sehnsucht nach ihm, nach Wahrheit und Leben, in Empfindungen und Antrieben, in Tiefblicken und Fernsichten, in Lösungen und Aufgaben, von denen man nicht weiß, woher sie kommen und wohin sie gehen.

Wo Gott erfahren wird, gilt das Wort: Ziehe Deine Schuhe aus, der Boden, darauf Du stehst, ist heiliges Land.

Die Schuhe aber, mit denen wir jeden Boden der Wirklichkeit betreten und so oft das Leben, das aus ihm wächst, zertreten, sind unsere Weltanschauung und Lebensauffassung, unsere Begriffe, Schlagworte, Gesichtspunkte, unsere Logik und Dialektik.

Das Organ der Gotteserkenntnis ist allein die Seele.

 

(aus Johannes Müller, "Das Urgeheimnis")

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Kommentare: 2
  • #1

    C. (Mittwoch, 05 Mai 2021 09:00)

    Ich denke, wir können hier reibungslos Müllers Begriff "Seele" als HS lesen. Oder meint er damit AP-Aspekte wie "Gemüt"? Oder ist "Gemüt" sozusagen eine Andockstelle des HS in der AP? Interessant, das mal für sich auszuloten.

  • #2

    R.G. (Mittwoch, 05 Mai 2021 15:37)

    "Oder ist "Gemüt" sozusagen eine Andockstelle des HS in der AP?"
    Könnt ich mir sehr gut vorstellen. Meiner Erfahrung nach laufen die Dinge reibungsloser, wenn wir "gemütlich" sind. Wikipedia: "In der späteren Wortbildung „gemütlich“ geht außerdem die Bedeutung von „gleichen Sinnes, angenehm, lieb“ mit ein, substantivisch „das Angenehme; Zustimmung“ in der Bedeutung „angenehm, lieb“." Zustimmung bzw gleichen Sinnes würde ich als fehlenden Widerstand sehen und damit kommen wir dem "daß unser Inneres nichts ist als ein Hohlraum für seine Gnade." recht nah.