Es ist ein Unglück, daß das bekannte Wort im Johannes-Evangelium übersetzt worden ist „Gott ist Geist"'.
Gott ist Geist heißt hier im Zusammenhang: Gott ist nichts Körperliches, räumlich Gebundenes, Sinnliches. Darum sollen die wahrhaftigen Anbeter ihn im Geist und in der Wahrheit
anbeten.
Nicht dieser oder jener Tempel, sondern die Innerlichkeit des Herzens, die echten Empfindungen der Seele sind die Stätte der Anbetung und nicht durch Worte, Symbole, Gebärden und frommes
Gebaren, sondern durch Ehrfurcht, Demut, Aufrichtigkeit und Ergebung, Hingabe und Gehorsam, durch Wahrheit des Lebens will Gott verehrt werden.
Der Geist des Menschen ist doch von Grund aus etwas ganz anderes als der Geist Gottes.
Die bloße Frage: Sollte das Gottes Wille sein? ist schon genau dieselbe Auflehnung wie damals im Paradies: Sollte Gott gesagt haben?
Verhält es sich so mit dem Geist, dann ist es die unerhörteste Anmaßung, wenn unser Bewußtsein sich einbildet, Gott spräche direkt zu ihm als Geist zum Geiste.
Jede Wirklichkeit wirkt sich aus, durch ihr bloßes Dasein wie durch ihre Bewegung, durch ihren Eindruck und ihre Wirkenskraft, durch ihr Wesen und Tun.
So wirkt sich das Geheimnis unserer selbst nicht nur in unserem Ichgefühl und in den alles Endliche umspannenden und erforschenden Tätigkeiten unseres Geistes aus, sondern auch in unserm Sinn
für das Unendliche, in dem Freiheitsdrang, in dem Gefühl der Verpflichtung und der Verantwortung, in der Ehrfurcht und in dem Streben nach Wahrheit.
Wir erkennen das Geheimnis an seinen Früchten.
(aus Johannes Müller, "Das Urgeheimnis")
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Jonas (Mittwoch, 28 April 2021 07:41)
"Freiheitsdrang" - wie Müller schreibt - ist eine Kraft, die seit meiner Kindheit mein Leben in allen Bereichen bestimmt und dominiert.
Frei zu werden beispielsweise gegenüber denjenigen, die mir Unrecht getan haben. Frei zu werden gegenüber den Umständen, in denen ich geboren wurde. Frei-lassend gegenüber meiner Familie zu sein.
Und letztendlich frei von mir selbst zu werden.