Gott III

Das Wesen aller endlichen Dinge und Vorgänge ist für die geistige Forschung ebenso ein undurchdringliches Geheimnis wie das Wesen Gottes, wie unser eigenes Wesen es für uns ist.

Da Gott nirgends sinnlich wahrnehmbar ist, läßt er sich auch nicht erkennen, sondern nur erfahren.

Diese unsere Lage ist aber gar nicht entsetzlich oder zum Verzweifeln, wenn wir uns gefaßt und gern auf den Boden der Tatsache stellen, daß keine Gotteserkenntnis möglich ist, wenn wir uns willig darein finden, daß es zu unserer menschlichen Verfassung gehört, aus dem Geheimnis zu leben, ohne es erkennen zu können, es zu erfahren, ohne es zu begreifen.

Wir sind erst fähig, es zu erfahren, wenn wir nicht mehr wähnen, etwas davon zu wissen und es aufgeben, es erkennen zu wollen.

Aber wir erfahren die Wahrheit, wenn wir das Geheimnis nicht ergründen, sondern in uns wirken und gestalten, aus uns erscheinen und sich äußern lassen wollen.

Unser Bewußtsein darf nur reflektieren und ergreifen, was an, in und mit uns geschieht, und ihm ganz dienstbar werden.

In diesen tiefen Tatsachen und Gesetzen des wahrhaftigen Lebens kommt zur Geltung, daß wir in Gott sind und nicht außerhalb, daß die Dinge, Umstände und Vorgänge selbst und Gott durch sie auf uns wirken und wir so ihre objektive, leibhaftige Wirklichkeit und in, mit und unter ihr Gott erfahren.

Sagt man nicht: alles Geniale, also die höchsten schöpferischen Lebensäußerungen gehen aus dem Unbewußten hervor?

Dies instinktive geistige Leben, der Instinkt, der hier tätig ist, ist der Glaube, das ursprüngliche Empfinden der Seele, d. h. dessen in uns, was nicht von dieser Welt ist.

 

(aus Johannes Müller, "Das Urgeheimnis")

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