Das Tor der Inspiration (Erleuchtung)
Hältst du dies für wunderbar und außergewöhnlich, kannst gar nicht genug davon bekommen und haftest daran an, dann wirst du letztlich in eine Dämonengrube fallen und nie die wirkliche
erwachte Natur zu sehen bekommen.
Wenn du aber nicht begeistert an deinem Zustand hängst, doch deinen Geist mit ganzem Bemühen erweckst, dann wirst du von Zeit zu Zeit erleben, wie du beim Sitzen vergisst, dass du sitzt, oder
beim Stehen vergisst, dass du stehst, du wirst deinen Körper und die Welt um dich herum vergessen. Machst du da ohne Rückschritt weiter, wird dein gewöhnliches Bewusstsein plötzlich zerschmettert
und auf einmal die erwachte Natur erscheinen. Dies nennt man die Erkenntnis des Großen Vollkommenen Spiegels.
Es handelt sich um die erste Ebene der Inspiration, wo man auf einen Schlag die Quelle der achtzigtausend Lehren mit ihren endlosen Bedeutungen unterscheiden kann. So wie eines wird, so wird
alles; so wie eines vergeht, so vergeht alles: Nichts fehlt, kein Prinzip ist unvollständig. Als neugeborenes Kind Buddhas wird der Bodhisattva die Sonne der Weisheit seiner erwachten Natur
offenbaren; doch die Wolken seiner früheren Handlungen werden sich noch nicht verflüchtigt haben.
Da die eigene Kraft auf dem Weg noch schwach und das Verständnis der Wirklichkeit nicht vollkommen klar ist, assoziiert man den Großen Vollkommenen Spiegel mit der Richtung Osten und nennt
ihn das Tor der Inspiration. Es ist wie mit der Sonne, wenn sie im Osten aufgeht: Obwohl Berge, Flüsse und das Land die Sonnenstrahlen empfangen, werden sie noch nicht von ihnen erwärmt. Und
obwohl du den Weg klar gesehen haben magst, reicht die Kraft, die aus deinem Innern erstrahlt, noch nicht aus, du wirst noch von chronischen Verstrickungen behindert und kannst in angenehmen wie
widrigen Umständen noch nicht frei und unabhängig handeln. Dabei gleichst du jemanden, der nach einem Ochsen sucht, und wenn er dann einen wahren Ochsen findet, die Zügel nicht fest genug hält,
weshalb dieser früher oder später davonlaufen wird.
Wenn du den Ochsen entdeckt hast, mach das Hüten des Ochsen zu deiner einzigen Angelegenheit. Ohne diese Praxis verpassen viele Menschen nach ihrem (ersten) Erwachen das Boot. Um die
Erkenntnis von Gleichheit zu erlangen, verweile also nicht in der Erkenntnis vom Großen Vollkommenen Spiegel. Geh weiter und weiter und konzentriere dich auf die Übung nach dem Erwachen.
(aus "Die vier Arten der Erkenntnis eines Erwachten" von Hakuin Ekaku, übers. v. Gi Do)
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