6. Unlust II

Der göttliche Apostel wußte, daß diese Krankheit äußerst schwer ist, und wollte sie wie ein guter Arzt mit der Wurzel aus unserer Seele reißen. Darum zeigte er vor allem die Gründe auf, woraus sie geboren wird, und spricht: "Wir ermahnen euch, Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, euch von jedem Bruder zurückzuziehen, der ein ungeordnetes Leben führt, ohne sich nach der Überlieferung zu richten, die ihr von uns empfangen habt. Ihr wißt ja selbst, wie ihr uns nachahmen sollt; wir haben ja unter euch kein ungeordnetes Leben geführt, denn wir haben bei niemandem unser Brot umsonst gegessen. Vielmehr haben wir Tag und Nacht unter Mühe und Anstrengung gearbeitet, um niemandem von euch zur Last zu fallen. Nicht als ob wir kein Recht darauf hätten, sondern um euch ein Beispiel zu geben, damit ihr uns nachahmen könnt. Als wir nämlich bei euch waren, haben wir euch die Weisung gegeben: 'Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.' Wir hören nämlich, daß manche unter euch ein ungeordnetes Leben führen, indem sie nicht arbeiten, sondern unnütze Dinge treiben. Solche weisen wir an und ermahnen wir in Christus Jesus, sie sollen in Ruhe arbeiten und ihr eigenes Brot essen."

Hören wir, wie der Apostel uns die Gründe für die Unlust genau aufzeigt. Denn er nennt jene, die nicht arbeiten, ungeordnet, dabei stellt er uns mit diesem einzigen Wort eine vielschichtige Lasterhaftigkeit vor Augen. Der Ungeordnete nämlich macht sich kein Gewissen, ist unbedacht im Reden, neigt zur Schmähsucht und ist schließlich untauglich für die einsame Ruhe und ein Sklave der Unlust. Er ermahnt uns also, uns von solchen Menschen zurückzuziehen, das heißt, uns von ihnen abzusondern wie von einer pestartigen Krankheit. Und wenn er sagt: "...ohne sich nach der Überlieferung zu richten, die sie von uns empfangen haben", zeigt er, daß sie hochmütig sind, voller Verachtung, und sie die apostolischen Überlieferungen untergraben. Und wiederum sagt er: "Wir haben bei niemandem unser Brot umsonst gegessen, sondern Tag und Nacht unter Mühe und Anstrengung gearbeitet." Der Lehrer der Heiden, der Herold des Evangeliums, er, der bis in den dritten Himmel erhoben wurde, er, der sagt, der Herr habe angeordnet, die Künder des Evangeliums sollten vom Evangelium leben, er arbeitet Tag und Nacht unter Mühe und Anstrengung, um niemandem zur Last zu fallen. Was sollen also wir tun, wo wir keine Lust zur Arbeit haben und nach körperlicher Ruhe trachten? Wir, denen weder die Verkündigung des Evangeliums noch die Sorge um die Gemeinden anvertraut wurde, sondern allein die Obhut der eigenen Seele? Dann zeigt er uns noch deutlicher den Schaden, der aus der Untätigkeit geboren wird, und fügt hinzu: "...indem sie nicht arbeiten, sondern unnütze Dinge treiben." Aus der Untätigkeit entsteht nämlich das Treiben unnützer Dinge, aus dem Treiben unnützer Dinge die Ungeordnetheit und aus der Ungeordnetheit jegliche Lasterhaftigkeit. Er leitet aber ebenfalls ihre Heilung in die Wege und spricht: "Solche weisen wir an, sie sollen in Ruhe arbeiten und ihr eigenes Brot essen." Und noch vorwurfsvoller sagt er: "Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen."

 

(Johannes Cassianus der Römer, "Über die acht Gedanken der Lasterhaftigkeit")

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