6. Unlust I

Über die Unlust

Einen sechsten Kampf haben wir gegen den Geist der Unlust zu bestehen, welcher mit dem Geist der Traurigkeit verbunden ist und zusammenarbeitet. Furchtbar und grausam ist dieser Dämon, stets im Krieg mit den Mönchen. Er bedrängt den Mönch die sechste Stunde hindurch, indem er ihm Schlaffheit und Grauen einflößt und tiefe Abscheu aufkommen läßt gegenüber dem Ort, wo er sich gerade befindet, gegenüber den Brüdern, die mit ihm zusammenleben, gegenüber jeder Tätigkeit und sogar gegenüber der Lesung der göttlichen Schriften. Er gibt ihm auch Gedanken ein, den Wohnort zu wechseln, und macht ihm vor, wenn er sich nicht in andere Gegenden begebe, werde alle Mühe und Zeit vergebens sein. Zu alledem läßt er ihn um die sechste Stunde so hungrig werden, wie er es durch ein dreitägiges Fasten, einen überaus langen Weg oder eine äußerst schwere Arbeit nicht geworden wäre. Dann gibt er ihm Gedanken ein, er werde sich auf keine andere Weise von dieser Krankheit und Last befreien können, als dadurch, daß er fortwährend ausgehe und sich zu den Brüdern begebe - natürlich um Hilfe zu leisten oder Kranke zu besuchen. Kann er ihn damit aber nicht täuschen, taucht er ihn daraufhin in einen ganz schweren Schlaf und wird ihm gegenüber dann heftiger und stärker. Er wird in diesem Fall auf keine andere Weise zurückgeschlagen als durch Gebet, Enthaltung von leerem Gerede, Betrachtung der göttlichen Worte und Standhaftigkeit in den Versuchungen. Findet er den Mönch nämlich nicht mit diesen Waffen gewappnet, schießt er ihn mit seinen Pfeilen nieder, macht ihn daraufhin unstet, läßt ihn schließlich zum Vagabunden, leichtfertig und träge werden und macht ihn geneigt, viele Klöster der Reihe nach zu besuchen und sich um nichts anderes mehr zu kümmern, als sich umzusehen, wo es etwas zu essen und zu trinken gibt. Mit nichts anderem beschäftigt sich nämlich das Denken des lustlosen Mönchs als mit derartigem Nervenkitzel. Und schließlich verstrickt ihn dieser Ungeist dadurch in weltliche Angelegenheiten und ködert ihn allmählich mit diesen schädlichen Beschäftigungen, bis er ihn selbst von seinem Beruf als Mönch völlig abbringt.

 

(Johannes Cassianus der Römer, "Über die acht Gedanken der Lasterhaftigkeit")

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