Gibt es etwas, was dieses Zeugnis an Gewißheit und Deutlichkeit übertrifft? Lernen dadurch nicht offenbar wir, die der Welt entsagen, ihr vollständig zu entsagen, mit dieser Haltung in den
Krieg auszuziehen und nicht, indem wir einen schlaffen und verdorbenen Anfang machen, die anderen von der evangelischen Vollkommenheit abzukehren und ihnen Feigheit einzuflößen? Denn sie, welche
solches tun, legen jenes schöne Wort der göttlichen Schrift: "Geben ist seliger als nehmen" in schlechter Weise aus und verstehen den Gehalt dieses Wortes falsch, da sie ihm Gewalt antun
zugunsten ihrer eigenen Täuschung und der Begierde der Habsucht. Ebenso verfahren sie mit der Belehrung des Herrn, die da lautet: "Wenn du vollkommen sein willst, dann verkaufe deinen Besitz und
gib ihn den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben. Dann komm und folge mir nach!" Sie halten es für seliger als die Besitzlosigkeit, über den eigenen Reichtum zu verfügen und aus
seinem Überfluß den Bedürftigen zu geben.
Solche Leute sollen darum einsehen, daß sie der Welt noch nicht entsagt und auch noch nicht die mönchische Vollkommenheit erreicht haben, solange sie sich schämen, für Christus die Armut des
Apostels auf sich zu nehmen, mit ihrer Hände Arbeit sich selbst und den Bedürftigen zu dienen, das mönchische Gelöbnis tatsächlich zu erfüllen und zusammen mit dem Apostel gerühmt zu werden. Nach
der Verteilung des früheren Reichtums sollen sie zusammen mit Paulus den guten Kampf in Hunger und Durst, Kälte und Blöße kämpfen. Wäre nämlich derselbe Apostel der Meinung gewesen, der Besitz
früheren Reichtums sei irgendwie nötig für die Vollkommenheit, hätte er seine Bedeutung nicht verachtet. Er sagt ja, er sei wohlgeboren und ein römischer Bürger. Und auch jene, welche in
Jerusalem ihre Häuser und Felder verkauften und ihren Erlös den Aposteln zu Füßen legten, hätten dies nicht getan, wenn sie gewußt hätten, daß es von den Aposteln gutgeheißen und seliger sei,
sich aus dem eigenen Besitz zu ernähren und nicht durch eigene Anstrengung und die Opfergabe der Heiden.
Noch deutlicher aber lehrt darüber der erwähnte Apostel, wenn er in seinem Brief an die Römer folgendes sagt: "Jetzt aber reise ich nach Jerusalem, um den Heiligen einen Dienst zu erweisen;
Makedonien und Achaia haben nämlich eine Sammlung für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem beschlossen, sie sind ja auch ihre Schuldner." Und da er oft Fesseln und Kerker und der Beschwerde
der Reise unterworfen war und darum daran gehindert wurde, wie gewohnt mit eigenen Händen für sich zu sorgen, so belehrt er uns, daß er von den Brüdern, die von Makedonien zu ihm gekommen waren,
erhalten hat, was er brauchte, indem er spricht: "Denn meiner Not halfen die Brüder ab, die von Makedonien gekommen waren." Auch schreibt er den Philippern: "Auch ihr wißt, Philipper, daß nach
meiner Rückkehr aus Makedonien nicht einmal eine einzige Gemeinde mit mir Gemeinschaft hatte im Geben und Nehmen als ihr allein. Auch als ich in Thessalonich war, sandtet ihr mir einmal und ein
zweites Mal, was ich nötig hatte." So seien also nach der Meinung der Habgierigen ruhig auch diese seliger als der Apostel, da sie ja aus ihrem eigenen Vermögen ihm das Nötige verschafft haben.
Aber dies wird wohl niemand zu behaupten wagen, sei er auch bis zum äußersten Unverstand gelangt.
(Johannes Cassianus der Römer, "Über die acht Gedanken der Lasterhaftigkeit")
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