3. Habsucht I

3. Über die Habsucht

Einen dritten Kampf haben wir gegen den Geist der Habsucht zu bestehen. Wir erkennen, daß dieser Kampf der Natur fremd ist und sich außerhalb von ihr abspielt - findet er doch für den Mönch seinen Ausgang vom Mißtrauen her. Die Reize der anderen Leidenschaften nämlich - ich meine die des Zornes und der Begierde - scheinen ihren Ausgang vom Leib aus zu nehmen; sie sind ja der Natur eingepflanzt und nehmen daher gewissermaßen mit der Geburt ihren Anfang. Darum werden sie auch nur nach langer Zeit überwunden. Da aber die Krankheit der Habsucht von außen her herankommt, kann sie leichter ausgerottet werden, falls ihr Sorge und Aufmerksamkeit zuteil werden. Wird sie jedoch vernachlässigt, wird sie verderblicher als die anderen Leidenschaften und schwer abzuschütteln. Sie ist ja gemäß dem Apostel die Wurzel aller Übel.

Wir wollen auch folgende Betrachtung anstellen: Die natürlichen Regungen des Körpers kann man nicht nur bei den Kindern beobachten, bei denen sich noch keine Erkenntnis von Gut und Böse findet, sondern auch bei den jungen Säuglingen, die noch gestillt werden. Obwohl sie in sich nicht einmal eine Spur der Lust haben, so zeigen sie an ihrem Leib doch natürliche Regungen. In gleicher Weise beobachtet man bei den Säuglingen auch den Stachel des Zornes, wenn wir sehen, wie sie sich denen gegenüber aufregen, die ihnen Schmerz zugefügt haben. Dies sage ich, nicht um die Natur schlechtzumachen, als sei sie der Grund für die Sünde. Das sei ferne! Vielmehr, um zu zeigen, daß der Zorn und die Begierde, wenn sie auch vom Schöpfer zum Guten mit dem Menschen verbunden wurden, dennoch ohne Zweifel irgendwie durch die Leichtfertigkeit aus dem naturgemäßen Bereich des Leibes in den widernatürlichen zu fallen scheinen. Es wurde ja die Regung des Leibes vom Schöpfer zur Zeugung von Kindern und für den Fortbestand des Menschengeschlechts durch die Fortpflanzung gegeben und nicht für die Unzucht. Und auch die Regung des Zornes ist in heilsamer Weise in uns eingesät, um sich gegen die Schlechtigkeit zu ereifern, doch nicht, um dem gegenüber, was vom selben Stamme ist, zum wilden Tier zu werden. Es ist also die Natur nicht sündhaft, wenn wir diese Anlagen auch schlecht gebrauchen. Und auch den, der sie gebildet hat, wollen wir nicht beschuldigen; genauso wie wir auch den nicht beschuldigen, der das Eisengerät zum notwendigen und nützlichen Gebrauch gegeben hat, wenn es der Empfänger zum Dienst am Mord gebraucht hat.

 

(Johannes Cassianus der Römer, "Über die acht Gedanken der Lasterhaftigkeit")

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Kommentare: 2
  • #1

    C. (Sonntag, 21 März 2021 11:50)

    Bei aller analytischen Schärfe doch erfreulich milde Töne. Differenziert eben. Das ist Spiritualität und NICHT Religiösität.

  • #2

    C. (Sonntag, 21 März 2021 11:50)

    Sehr getrachtenswert auch: "findet er doch für den Mönch seinen Ausgang vom Mißtrauen her."