So soll denn also die schützende Wachsamkeit über unser Herz folgendermaßen aussehen: Wenn unserem Denken eine Erinnerung an eine Frau kommt, hervorgerufen durch die teuflische Bosheit -
selbst wenn es sich vielleicht gerade um eine Erinnerung an die Mutter oder Schwester oder an andere fromme Frauen handelt -, sollen wir diese schnell aus unserem Herzen stoßen; sonst, wenn wir
lange Zeit bei dieser Erinnerung verweilen, wirft und schleudert der Verführer in den bösen Dingen unser Denken von diesen Gesichtern aus in die schändlichen und schädlichen Begierden hinab.
Dementsprechend befiehlt auch das von Gott dem ersten Menschen gegebene Gebot, auf das Haupt der Schlange aufzupassen, das heißt auf die Anfänge der schädlichen Gedanken, durch die sie in unsere
Seele zu kriechen beabsichtigt. Wir sollen ja nicht, indem wir das Haupt aufnehmen, welches die Einflüsterung des Gedankens bedeutet, auch den übrigen Leib der Schlange aufnehmen, das heißt die
Zustimmung zur Lust. Sonst würde sie am Ende unser Denken zur unerlaubten Tätigkeit hinabführen. Es ist vielmehr angebracht, wie geschrieben steht, am Morgen alle Sünder der Erde zu töten, das
heißt, mit dem Licht der Erkenntnis die sündhaften Gedanken auszuscheiden und auszutilgen von der Erde, welche nach der Lehre des Herrn unser Herz ist. Auch ist es angebracht, die Söhne Babylons
- ich meine die bösen Gedanken -, solange sie noch kleine Kinder sind, dem Erdboden gleichzumachen und am Felsen zu zerschmettern, welcher Christus ist. Sind sie nämlich durch unsere Zustimmung
einmal zu Männern geworden, werden sie nicht ohne großes Seufzen und Mühen besiegt werden können.
Es ist gut, zusätzlich zu den Aussagen der göttlichen Schrift auch Worte der heiligen Väter zur Sprache zu bringen. So ist denn vom heiligen Basileios, dem Bischof von Caesarea in
Kappadokien, gesagt worden: "Ich kenne keine Frau und bin doch nicht jungfräulich." Er erkannte somit, daß die Gabe der Jungfräulichkeit nicht so sehr allein darin verwirklicht wird, daß man sich
mit seinem Leib von einer Frau fernhält, als vielmehr in der Heiligkeit und Reinheit der Seele, welche naturgemäß in der Furcht Gottes zur Ausführung kommt. Die Väter sagen auch, daß wir die
Tugend der Keuschheit nicht vollkommen erwerben können, ohne vorher wahre Demut in unserem Herzen erworben zu haben. Auch könnten wir nicht wahrer Erkenntnis für wert erachtet werden, solange in
den verborgenen Schichten unserer Seele noch die Leidenschaft der Unzucht sitzt.
(Johannes Cassianus der Römer, "Über die acht Gedanken der Lasterhaftigkeit")
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Ruth Finder (Sonntag, 21 März 2021 10:58)
"Ich kenne keine Frau und bin doch nicht jungfräulich." Mit anderen Worten: "Ich bin nicht von der Welt und bin doch in der Welt."