23 Kapitel - 22

22 Alle unreinen Gedanken führen, wenn sie aufgrund der Leidenschaften in uns andauern, den Geist hinab in den Untergang und ins Verderben. Wie nämlich die Vorstellung des Brotes im Hungernden aufgrund des Hungers und die Vorstellung des Wassers im Dürstenden aufgrund des Durstes andauert, so dauern auch die Vorstellungen von Hab und Gut und die der schändlichen Gedanken, welche aus den Speisen geboren werden, aufgrund der Leidenschaften an. Aber auch bei den Gedanken der eitlen Ehrsucht und den anderen Vorstellungen kann man denselben Nachweis führen.

Es ist ferner nicht möglich, daß der Geist - von derartigen Vorstellungen erstickt - vor Gott hintritt und sich den Kranz der Gerechtigkeit umbindet. Denn auch jener dreimal elende, im Evangelium erwähnte Geist schlug das Mahl der Erkenntnis Gottes aus, weil er von diesen Gedanken herabgezogen wurde. Und jener, der an Händen und Füßen gefesselt und in die äußerste Finsternis geworfen wurde, besaß ein Gewand, welches wiederum aus diesen Gedanken gewebt war; er war einer solchen Hochzeit nicht würdig, wie der Gastgeber erklärte.

Das hochzeitliche Gewand besteht daher in der Leidenschaftslosigkeit einer vernunftbegabten Seele, welche die weltlichen Begierden verleugnet hat. Was aber der Grund dafür ist, daß die Vorstellungen der sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände die Erkenntnis zugrunde richten, wenn sie lange bestehenbleiben, das wurde in den Kapiteln über das Gebet gesagt.

 

(Evagrios Pontikos - 23 Kapitel über die Unterscheidung der Leidenschaften und Gedanken 22)

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