23 Kapitel - 19-20

19 Von den unreinen Dämonen versuchen die einen den Menschen als Mensch, die anderen verwirren den Menschen als vernunftloses Tier. Wenn erstere an uns herangetreten sind, geben sie uns Gedanken der eitlen Ehrsucht, des Hochmuts, des Neides oder der Anklage ein, welche ja keines der vernunftlosen Geschöpfe berühren. Nähern sich aber die zweiten, erregen sie im Widerspruch zur Natur Zorn oder Begierde. Dies sind nämlich Leidenschaften, welche uns und den vernunftlosen Tieren gemeinsam sind, wenn sie auch von der vernunftbegabten Natur verdeckt werden. Darum spricht der Heilige Geist zu den Gedanken, die den Menschen widerfahren: "Ich sprach: 'Ihr seid Götter und Söhne des Höchsten allesamt.' Ihr jedoch sterbt wie Menschen und sinkt dahin wie einer der Fürsten." Zu denen aber, die sich in vernunftloser Weise regen, was sagt er? "Werdet nicht wie Roß und Maultier, die ohne Verstand sind. Mit Maulkorb und Zügel mußt du ihr Kinn zerren, die sich dir sonst nicht nähern."'

Wenn jedoch eine Seele, die sündigt, wenn sie sogar sterben wird, so ist es ganz offensichtlich, daß die Menschen wie Menschen sterben und von Menschen begraben werden. Werden aber die Vernunftlosen getötet oder sinken sie dahin, werden sie von Geiern oder Raben verzehrt werden. Von deren Jungen rufen die einen den Herrn an, die anderen besudeln sich mit Blut."

Wer Ohren hat, zu hören, der höre!


20 Kommt einer deiner Feinde herbei und verwundet dich, und willst du sein Schwert auf sein eigenes Herz wenden, wie geschrieben steht, dann verfahre so, wie wir dir raten. Nimm ganz für dich den von ihm eingegebenen Gedanken auseinander, überlege, welcher Gedanke es denn ist, aus wie vielen Bestandteilen er besteht und welcher davon es ist, der deinen Geist am meisten bedrängt.

Was ich meine, ist folgendes: Nimm an, dir wurde von ihm der Gedanke der Geldgier eingegeben. Teile diesen auf in den Geist, der ihn aufgenommen hat, in die Vorstellung des Goldes, in das Gold selbst und in die Leidenschaft der Geldgier. Dann frage dich: Was davon ist Sünde? Etwa der Geist? Aber wie ist er dann Bild Gottes? Dann wohl die Vorstellung des Goldes? Aber wer wird dies wohl jemals behaupten, sofern er Verstand besitzt? Dann ist wohl das Gold selbst Sünde? Und weswegen ist es geworden? Es folgt also, daß das vierte der Grund für die Sünde ist.

Es ist ja kein Gegenstand, der substantiellen Bestand besäße; auch ist es keine Vorstellung eines Gegenstandes, sondern eine menschenfeindliche Lust, welche aus dem freien Willen geboren wird und den Geist zwingt, die Dinge, welche Gott geschaffen hat, in schlechter Weise zu gebrauchen. Eben diese Lust abzuschneiden ist dem Gesetz Gottes anvertraut. Und indem du dies genau erforschst, wird zum einen der Gedanke vernichtet werden, da er aufgelöst wird, um eigens betrachtet werden zu können, und andererseits wird der Dämon vor dir fliehen, da sich dein Denken durch diese Erkenntnis in die Höhe erhoben hat.

Willst du aber gegen ihn nicht sein Schwert gebrauchen, doch trachtest du danach, mit Hilfe deiner Steinschleuder diesen als ersten umzubringen, dann nimm auch du einen Stein aus deiner Hirtentasche, und suche ihn zu betrachten: Wie zwar Engel und Dämonen unserer Welt, wir aber ihren Welten nicht nahekommen. Denn wir können weder die Engel noch mehr mit Gott vereinen, noch nehmen wir uns vor, die Dämonen noch unreiner zu machen. Betrachte auch, wie der Morgenstern, der früh aufgeht, auf die Erde herabgeworfen wurde und er das Meer als eine Salbendose betrachtet, die Unterwelt des Abgrunds als einen Gefangenen, und wie er den Abgrund zum sieden bringt wie einen Kupferkessel. Dabei beunruhigt er alle mit seiner Bosheit und will über alle herrschen.

Die Betrachtung dieser Wirklichkeiten nämlich verwundet den Dämon gar sehr und schlägt seine ganze Schlachtreihe in die Flucht. Dies jedoch ist der Fall bei denen, welche allmählich gereinig worden sind und ihren Blick zu einem gewissen Grad auf die inneren Zusammenhänge der gewordenen Dinge richten. Die Unreinen aber verstehen die Betrachtung dieser Gegebenheiten nicht. Doch nicht einmal wenn sie - von anderen belehrt - ihre Feinde betören wollten, wird man sie hören, da durch die Leidenschaften während des Kampfes viel Wirbel und Unruhe entsteht. Es muß nämlich die Schlachtreihe der Fremdstämmigen völlig stillstehen, damit einzig Goliath unserem David entgegensehe.

Auf dieselbe Weise wollen wir auch bei allen anderen unreinen Gedanken dieses Verfahren des Kampfes und seine Zergliederun handhaben.

 

(Evagrios Pontikos - 23 Kapitel über die Unterscheidung der Leidenschaften und Gedanken 19-20)

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