Über eine Regel, die Männer zum Schweigen bringt, und einen gesundheitspolitischen Aufruf
Der Sohn eines Kollegen studiert in Kiel ein naturwissenschaftliches Fach. Er hat eine Mail bekommen. Absender war das Studierendenparlament. Darin stand:
»Um ein ausgewogenes Verhältnis in strittigen Debatten sicherstellen zu können, haben wir die Möglichkeit eingeführt, während der Sitzung einen Geschäftsordnungsantrag auf eine hart
quotierte Redeliste stellen zu können. Das bedeutet, dass immer eine männliche und eine FLINT* (female, lesbian, inter, non-binary und trans*)-Person abwechselnd sprechen dürfen und die Redeliste
geschlossen wird, wenn sich keine nicht-männliche Person zu Wort meldet.«
Leider muss ich gegen eine journalistische Grundregel verstoßen. Eigentlich sollte ich erklären, was all diese Begriffe bedeuten, nicht jede Person weiß es. Aber wenn ich das mache, sind
meine Zeilen fast schon verbraucht. Und es würde auch wenig nützen. Ich zitiere dazu die Website der Trans* Inter* Beratungsstelle München: »Diese Begriffe sind nicht starr und statisch, sondern
werden von unterschiedlichen Menschen in unterschiedlichen Kontexten verschieden verwendet.« Es gebe immer wieder Kontroversen darum, wie die Begriffe zu verstehen sind. Statt »Flintperson« kann
man zum Beispiel, wie ich auf kritische.männlichkeit.de gefunden habe, auch einfach nur LGBTIQA sagen oder, ganz locker, LSTIQA, die Sternchen lasse ich heute mal weg. Zurück zum Text der
Beratungsstelle München: »Grundlegend wichtig ist es, jeden Menschen nach der eigenen Selbstbezeichnung zu fragen und diese zu respektieren.« Fragende brauchen Fingerspitzengefühl. Die Frage »Wo
kommen Sie her?« kann zum Beispiel leicht als rassistisch missverstanden werden. Immer noch risikolos ist vermutlich die Frage: »Lieben Sie Brahms?« Grundlegend wichtig ist die Frage: »Als was
bezeichnen Sie sich?« Dabei kommt es aber auf die Situation an. Wenn sie zum Beispiel mit der Kieler Uni fertig sind und im ersten Job der Chefperson vorgestellt werden, ist die Frage »Als was
bezeichnen Sie sich?« sicher kein idealer Einstieg, Ich selbst habe mich zu der Selbstbezeichnung Ukopaz entschlossen, umstrittenste Kolumnistenperson aller Zeiten.
Der Kollege hat mir auch eine Stellenausschreibung des Kieler Asta geschickt: »BIPoC (Black, lndigenous, People of Color) und Menschen mit Migrationshintergrund, Frauen*, Lesben*, inter*,
nicht binäre* und trans* Personen, sowie Menschen mit Behinderung und Personen mit Kindern werden bei gleicher Qualifikation bevorzugt.« Der Kollege sorgt sich nun um die berufliche Zukunft
seines Sohnes, falls dies überall Schule macht. Der Sohn, 22, erfülle leider kein einziges Kriterium. Ich rate zum Lügen. Es muss keiner wissen, dass dieser junge Mann heimlich binär und hetero
ist, er kann doch zum Schein mit einem anderen, ähnlich gestrickten Jungen eine Lebenspartnerschaft eingehen. Solange er nicht öffentlich mit seiner Freundin knutscht, sagt bestimmt keiner
was.
Was den Journalismus angeht, sehe ich eher Erleichterungen. Durch die Sternchen, die Binnen-Is, die Leertasten, Klammern und was es sonst noch gibt und was alles Platz füllt, müssten
Schreibende in Zukunft zwei bis drei Prozent weniger an Netto-Text liefern. De facto ist das eine Honorarerhöhung. Ein ungutes Gefühl hätte ich im Kieler Krankenhaus, wenn mitten in einer OP
während einer strittigen Debatte die Rednerliste geschlossen werden muss, weil sich aus dem Ärzteteam keine Flint-Person zu Wort meldet. Darum, liebe Females, Lesbians, Inters, Non-Binarys,
Trans*-Personen und Männer, esst schon heute viel Obst und bleibt gesund.
(Harald Martenstein, Zeit-Magazin Nr. 8/2021)
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C. (Samstag, 20 Februar 2021 13:29)
Es lässt sich eine Menge dazu sagen. Und auch ein wenig kreischend und kopfschüttelnd im Zimmer auf und ab laufen...
Nehmen wir Horaz: "Wenn Dumme einen Fehler vermeiden wollen, dann begehen sie in der Regel den entgegengesetzten!"
Hier wird das noch getoppt. Um einen Fehler zu vermeiden begeht man ihn. Nämlich: Um Trennung zu überwinden, wird in immer mehr und kleinere Unterabschnitte aufgetrennt.
Linda (Sonntag, 21 Februar 2021 06:46)
Und die Frage, die sich mir stellt, fragt: Wird die Welt dadurch besser?
Ruth Gabriel (Sonntag, 21 Februar 2021 07:50)
Nicht wirklich. Abwertung und Ausgrenzung wird lediglich wieder verlagert.