23 Kapitel - 12

12 Wer den Zorn in seiner Gewalt hat, hat die Dämonen in seiner Gewalt. Ist aber jemand dem Zorn dienstbar geworden, so ist er dem mönchischen Leben fremd und der Wege unseres Erlösers unkundig, denn es heißt, der Herr selbst lehre die Sanftmütigen seine Wege. Darum wird auch der Geist der Anachoreten schwer zu fassen, nachdem er auf die Ebene der Sanftmut geflüchtet ist. Die Dämonen fürchten nämlich beinahe keine einzige Tugend so sehr wie die Sanftmut.

Diese besaß jener große Moses, den man sanftmütiger als alle Menschen nannte. Und der heilige David zeigte, daß sie des Andenkens Gottes würdig ist, indem er sprach: "Gedenke Davids und all seiner Sanftmut." Aber auch unser Erlöser selbst forderte uns auf, Nachahmer seiner Sanftmut zu werden: "Lernt von mir," sprach er, "denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele."

Wenn aber jemand sich zwar von Speise und Trank enthielte, doch den Zorn mit bösen Gedanken schürt, so gleicht er einem Schiff das über das Meer fährt und einen Dämon als Steuermann besitzt. Darum müssen wir nach Kräften auf unseren Hund aufpassen und ihn lehren, nur die Wölfe zu reißen und nicht die Schafe aufzufressen, indem er jedmögliche Sanftmut allen Menschen gegenüber an den Tag legt.

 

(Evagrios Pontikos - 23 Kapitel über die Unterscheidung der Leidenschaften und Gedanken 12)

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