Über den Dämon der Traurigkeit
11 Alle Dämonen belehren die Seele in der Sucht nach Genuß und Freude, allein der Dämon der Traurigkeit ist nicht gewillt, dies zu tun. Vielmehr macht er die Gedanken der in das Bewußtsein
eindringenden Dämonen zunichte, indem er durch die Traurigkeit jede Freude der Seele raubt und austrocknet; denn das Gebein eines traurigen Mannes vertrocknet. Und durch seine gemäßigte
Kriegsführung macht dieser Dämon den Anachoreten zu einem bewährten Mann. Er redet ihm nämlich ein, nichts von den Dingen dieser Welt an sich heranzulassen und jede Freude zu meiden. Bleibt er
aber noch länger tätig, bringt er Gedanken hervor, welche einem den Rat geben, seine Seele fortzubringen, oder einen nötigen, weit weg von diesem Ort zu fliehen. Genau das hat einst der heilige
Job erwogen und erfahren, als er von diesem Dämon belästigt wurde. "O könnte ich mich doch selbst umbringen", sprach er, "oder es mir wenigstens dadurch antun, daß ich einen anderen darum
bitte."
Dieser Dämon wird im Tierreich durch die Schlange dargestellt. Wird ihre Natur verabreicht, wie es dem Menschen zuträglich ist, macht sie das Gift der anderen Tiere unwirksam. Wird sie aber
unmäßig genommen, wirkt auch dieses Lebenwesen tödlich. Diesem Dämon hatte Paulus jenen übergeben, der sich in Korinth vergangen hatte. Darum auch schrieb er abermals nachdrücklich an die
Korinther: "Laßt Liebe an ihm walten, damit er nicht etwa von übermäßiger Traurigkeit verzehrt werde."
Indem dieser Geist die Menschen bedrängt, versteht er es aber auch, ihnen eine heilsame Umkehr zu vermitteln. Darum bezeichnete auch der heilige Johannes der Täufer jene als Schlangenbrut,
die von diesem Geist gequält wurden und zu Gott ihre Zuflucht nahmen. Er sagte: "Wer hat euch verkündet, ihr würdet dem kommenden Zorn entgehen? Bringt also Frucht, die der Umkehr würdig ist, und
glaubt nicht, ihr könntet bei euch sprechen: 'Wir haben Abraham zum Vater.'" Jeder jedoch, der Abraham nachgeahmt und sein Land und seine Verwandtschaft verlassen hat, der ist sogar stärker als
dieser Dämon geworden.
(Evagrios Pontikos - 23 Kapitel über die Unterscheidung der Leidenschaften und Gedanken 11)
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