5 Läßt sich unser Zorn im Gegensatz zur Natur erregen, so trägt er entschieden zum Ziel der Dämonen bei und wird aufs höchste brauchbar für jeden ihrer bösen Umtriebe. Daher läßt es sich
keiner von ihnen entgehen, ihn Tag und Nacht anzustacheln. Sehen sie aber, daß er durch Sanftmut gebunden ist, befreien sie ihn alsdann sogleich unter gerechten Vorwänden, damit er - äußerst
heftig geworden - für ihre tierischen Absichten tauglich werde. Gerade darum ist es nötig, ihn weder bei gerechten noch bei ungerechten Sachverhalten zu reizen und auch denen, die ihn uns
eingeben, kein verhängnisvolles Schwert in die Hand zu geben. Ich weiß, daß viele dies häufig tun und aus geringfügigen Gründen mehr als nötig entbrennen.
Weswegen denn, sage mir, stürmst du sogleich in die Schlacht, wenn du wirklich Speise, Reichtum und Ehre verachtet hast? Und warum hältst du dir den Hund, wo du doch versicherst, nichts zu
besitzen? Wenn dieser aber bellt und den Leuten entgegenläuft, besitzt er offensichtlich etwas und will es bewachen. Ich bin jedoch überzeugt, daß ein solcher Mensch weit vom reinen Gebet
entfernt ist, da ich weiß, daß der Zorn ein Zerstörer dieses Gebetes ist. Zudem wundere ich mich, daß ich die Heiligen vergessen habe, wo doch David ausruft: "Steh ab vom Zorn und laß den
Grimm!", der Prediger mahnt: "Entferne den Zorn aus deinem Herzen, und vertreibe die Bosheit von deinem Fleisch", der Apostel aber vorschreibt, zu jeder Zeit und an jenem Ort heilige Hände zu
erheben, ohne Zorn und Streit. Warum aber lernen wir nicht von der mystischen und altbewährten Gewohnheit der Menschen, welche die Hunde zur Zeit des Gebetes aus dem Haus jagt? Sie gibt damit zu
verstehen, daß sich bei den Betenden kein Zorn finden darf. Und "Zorn von Drachen ist ihr Wein." Vom Wein aber enthielten sich die Nasiräer.
Darüber aber zu schreiben, daß man sich keine Sorgen um Kleidung oder Speise machen soll, halte ich für überflüssig, da es doch unser Heiland selbst im Evangelium verbietet. Denn er sagt:
"Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen oder trinken oder was ihr anziehen sollt." Dies ist nämlich ganz und gar Sache der Heiden und Ungläubigen, derer, die die Fürsorge des Herrn
zunichte machen und ihren Schöpfer verleugnen. Den Christen aber ist so etwas völlig fremd, da sie ein für allemal zum Glauben gelangt sind, daß auch die beiden Sperlinge, die man um einen Heller
verkauft, unter der Obhut der heiligen Engel stehen.
Die Dämonen haben jedoch auch folgende Gewohnheit: Sie geben mit den unreinen Gedanken auch jene ein, die die Sorge zum Gegenstand haben, damit sich Jesus abwende, da sich am Ort des Denkens
eine Menge Gedanken befinden, und damit das Wort fruchtlos werde, da es von den sorgenvollen Gedanken erstickt wird. Vertreiben wir sie also, und werfen wir unsere Sorge auf den Herrn, ziehen wir
täglich die Väter der eitlen Ehrsucht aus, indem wir uns mit dem Vorhandenen begnügen, ein armes Leben führen und ärmliche Kleidung tragen. Meint aber jemand, er handle unschicklich, wenn er sich
ärmlich kleidet, so blicke er auf den heiligen Paulus, der in Kälte und Blöße den Kranz der Gerechtigkeit erwartete.
Aber weil der Apostel diese Welt ein Theater und Stadion nennt, wollen wir einmal sehen, ob es möglich ist, daß jemand, der die sorgenvollen Gedanken angezogen hat, dem Siegespreis der
himmlischen Berufung Gottes entgegeneilt oder mit den Fürsten und Gewalten kämpft, mit den Beherrschern der Finsternis dieser Welt. Ich jedenfalls vermag es nicht, denn ich lasse mich auch von
dieser anschaulichen Schilderung belehren. Jener Läufer wird ja offensichtlich von dem Gewand behindert und hin und her gezerrt werden, ganz so wie der Geist von den sorgenvollen Gedanken - wenn
das Wort wirklich wahr ist, welches besagt, daß der Geist seinem Schatz anhangt. "Denn wo dein Schatz ist," heißt es, "dort wird auch dein Herz sein."
(Evagrios Pontikos - 23 Kapitel über die Unterscheidung der Leidenschaften und Gedanken 5)
Kommentar schreiben
C. (Donnerstag, 11 Februar 2021 11:00)
Haha! Warum hältst du dir den Hund? Gute Frage. ^^
Ruth Finder (Donnerstag, 11 Februar 2021 18:09)
Ich bin im Moment aus vielen Gründen hin und wieder zornig - leider! Und hab' in der Tat (!) die Tage von einem ganzen Rudel (!!!) Hunde geträumt. Es waren auch kleine süße Welpen dabei - wahrscheinlich sind sie die mit "gerechten Vorwänden". Denn nicht nur die Rache fühlt sich angeblich süß an, sondern auch der gerechte Zorn irgendwie. Was für ein Irrtum!
Und auch sonst ist dieses Kapitel als sehr anschauliches mahnendes Bild klasse. Ich habe in den Spiegel geschaut. :-(