Schrecklich/schrecklich

Wenn der Mensch ernsthaft über Gott nachdenkt, wenn er sich bemüht, ihn zu erfassen und zu ermessen und sich geistig seine Gegenwart bewusst zu machen, dann ist sein Verstand bald verwirrt und sein Denken lässt ihn im Stich. Es kommt der Moment, wenn sich das Denken selbst auflöst in der überwältigenden Klarheit. Dann ist es, als würde der Verstand versuchen, dieser unerträglichen Gegenwart Gottes zu entfliehen, indem er verzweifelt sich selbst sucht als von Gott getrennt und auf jede mögliche Weise zu überleben trachtet. Es ist ähnlich wie die Taube, die Noah von der Arche aussandte, und die wenigstens einen Ast suchte, auf dem sie sich ausruhen könnte. Doch alles umsonst. »Die Natur ist dann so ihrer Form entblößt, dass sie ins Nichts versinkt und verloren ist; es bleibt nur ein einfaches ist und dieses ist ist der Eine.« (Meister Eckhart) Der Mensch erschrickt, wenn er sich als »bloßes Sein« wiederfindet. Er meint, dass er nicht überleben kann, wenn Gott ihn ruft, sich selbst zu entdecken und im bloßen Akt des Daseins zu betrachten, und er schreckt davor zurück. Die Absolutheit des Seins ist für ihn ebenso schrecklich wie das Nichtsein, da sie ebenso sicher alles zerstört, was er selbst sein möchte, oder vielmehr, was er fühlen möchte, dass er ist.

(Henri Le Saux)

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