Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist.
Die engstmögliche Auslegung dieser Worte - man könnte auch sagen, die umfassendste, auf die grobstoffliche Ebene bezogene Deutung - führt zu einer Vermeidung, ja Unterdrückung jeder Form bildlicher Darstellung der grobstofflichen Seite von Personen, Lebewesen und Gegenständen. Kino, Foto, figürliche Plastik "real" existierender Dinge, gegenständliche Malerei... all das widerspräche dem Gebot.
Jenseits dieser Enge gibt es eine Reihe feiner Abstufungen bis hin zu dem, was gewöhnlich in unserem Kulturkreis unter dem Gebot verstanden wird: Ablehnung der Idolatrie (Bilderverehrung). Man denkt da sofort an die Geschichte mit dem goldenen Kalb.
Ganz so einfach ist es aber mit der Umsetzung auch nicht. Hat man auf Gott (Vater) bezogen nicht gleich den bärtigen, alten Mann im Sinn? Und Jesus? Als Trinitätsteil des einen Gottes wird er in unserer gegenwärtigen christlichen Ausprägung ja ziemlich hemmungslos dargestellt. Historisch und regional hat es da schon andere Phasen in der Entwicklung des Christentums gegeben. Und auch heute gibt es christliche Sekten/Kirchen, die das Gebot enger fassen.
Auch im Judentum gibt es gegenwärtig ein breites Spektrum von Versuchen, sich dem zweiten Gebot umsetzungsmäßig anzunähern. Das führt zu teils putzigen Spitzfindigkeiten. So darf dann ein "Strenggläubiger" kein Fernsehen sehen - es sei denn, der Fernseher liefe schon, weil der dann ja selbst kein Bildnis "machen" würde.
Oder im Mittelalter in Deutschland kamen Juden auf den Trick, ihre Bücher mit Vogelmenschen zu illustrieren, denn Vogelmenschen gibt es ja gar nicht unter dem Himmel und sonstwo auf der grobstofflichen Ebene.
Für mich drängt sich als freieste, spirituelle Deutung des Gebotes auf, dass wir uns keine uns nicht als solche bewusste Vorstellungen machen sollen. Idealerweise gar keine! Aber wie es mit Idealen so ist: Wir werden ihnen nicht gerecht, bis wir ihnen gerecht werden. Und davor haben wir höchstens Vorstellungen davon, ihnen gerecht zu werden. Oder wie sie überhaupt gestaltet sind.
Und außerdem sind Vorstellungen als Arbeitshypothesen teilweise schwer verzichtbar, dienen sie doch quasi als Wegweiser in der unüberschaubaren Welt der Dinge, in der wir uns so leicht verzetteln können.
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Simon (Donnerstag, 10 Dezember 2020 14:44)
"Menschen sind mehr als Dinge, und je mehr Mühe ich mir mit meinen Bildern gebe, umso mehr lassen mich Bilder an sich selbst kalt.“
(Vincent van Gogh)
Simon (Donnerstag, 10 Dezember 2020 16:08)
Alles ist bewegt, verändert sich, Entwicklung wird für jede mögliche Art von Leben und Wachstum immer wieder neu und einzigartig aufbereitet.
Das ganze geniale System, fährt mit uns (oder wir mit ihm), im wahrsten Sinne des Wortes gegen die Wand, wenn wir von Beständigkeit im Sinne von Wiederholung oder Unveränderlichkeit ausgehen und uns daraus entstehend, entsprechend ergeben verhalten.
Eine gesetzgebende, unbewegliche Bildnishaftigkeit ist ziemlich eindeutig, ein echter Hemmschuh.
Haben wir eine spezielle Vorstellung von der Natur, z.B aus dem Darwinismus entlehnt (Friss oder stirb)?!
Massentierhaltung, Instrumentalisierung, Ökonomisierung, diverse zerstörerische Verhaltensweisen resultieren zum Teil aus diesen Vorstellungen, die wir in Bildnissen und Gleichnissen kreieren und Gebetsmühlenartig so lange wiederholen, bis wir sie als vermeintlich reale Tatsache in uns tragen.
Religion, Psychologie, Neurophysiologie, Mathematik, Biologie. Wissenschaften aller Art geben ein tendenziell deterministisches Weltbild wieder, wenn sie sich als Inhaber und Finder von Wahrheiten anstatt als Träger auf Zeit oder Suchende sehen.
Lehre im kleinen und großen, gepresst in Ziegelform.
Als Bildnis ist Gott und Natur, unsere Mitmenschen, mein Selbst, nur sehr begrenzt erlebbar bzw. erfahrbar, was wohl eine der größten Einschränkungen ist, die wir uns als Mensch auferlegen können.
Ohne geht es aber auch nicht ganz, letztendlich sind sie wohl das, was wir daraus machen.