Ich möchte hier zwei praktisch gleich lautende Zitate aus dem AT zur Überlegung anbieten:
2Mo 20,4 Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist.
5Mo 5,8 Du sollst dir kein Bildnis machen in irgendeiner Gestalt, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist.
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Ruth Finder (Dienstag, 08 Dezember 2020 19:24)
Eine Variante:
Gut ("oben im Himmel") und Böse ("im Wasser unter der Erde", also etwas Dunkles) und alles dazwischen ("unten auf Erden") sind nur auf dem ersten Blick (linear) klar zu benennen. Man soll sich nicht darauf versteifen (sich "ein Bildnis", ein Dogma daraus machen). Denn alles fließt, verändert sich und ist meistens komplizierter, als es einem erscheint und lieb ist.
Ruth Finder (Mittwoch, 09 Dezember 2020 09:07)
Und man kann an das, was Oben und Unten und dazwischen ist - und wie auch immer das genannnt wird -, glauben. Und als eine Arbeitshypothese annehmen. Aber man darf, kann und durchaus sollte hinterfragen, nachdenken, überlegen, erforschen, verwerfen, neu definieren, einzeln betrachten, zusammenführen etc.
Die folgende Geschichte passt aus meiner Sicht gut zu der Thematik:
Ein Chassid kam zu Kozker Rabbi.
"Rabbi", klagte er, "ich muss grübeln und grübeln, es läßt mich nicht los!"
"Was ist es denn", fragte der Rabbi, "worüber du grübeln musst?"
"Ich muss grübeln: gibt's wirklich ein Gericht und einen Richter?"
"Was kommt es dir darauf an?"
"Rabbi! Wenn's kein Gericht und keinen Richter gibt, was ist dann an der ganzen Schöpfung!"
"Was kommt es dir darauf an?"
"Rabbi! Wenn's kein Gericht und keinen Richter gibt, was ist dann an den Worten der Thora!"
"Was kommt es dir darauf an?"
"Rabbi! Rabbi! Was es mir darauf ankommt?! Wie redet Ihr! Und worauf denn soll es mir ankommen?!"
"Wenn es dir denn so sehr darauf ankommt", sagte der Kozker, "dann bist doch ein rechter Jude - ein rechter Jude darf grübeln: es kann ihm nichts geschehn."
C. (Mittwoch, 09 Dezember 2020 09:13)
Auf RuFis Ansatz bezogen könnte man sagen, man muss sich eine gewisse, zumindest graduelle Leerheit bewahren. Das bringt auch diese Zen-Geschichte gut auf den Punkt:
Ein Professor wanderte weit in die Berge, um einen berühmten Zen-Mönch zu besuchen. Als der Professor ihn gefunden hatte, stellte er sich höflich vor, nannte alle seine akademischen Titel und bat um Belehrung.
„Möchten Sie Tee?“ fragte der Mönch.
„Ja, gern“, sagte der Professor.
Der alte Mönch schenkte Tee ein. Die Tasse war voll, aber der Mönch schenkte weiter ein, bis der Tee überfloss und über den Tisch auf den Boden tropfte.
„Genug“ rief der Professor. „Sehen Sie nicht, dass die Tasse schon voll ist? Es geht nichts mehr hinein.“
Der Mönch antwortete: Genau wie diese Tasse sind auch Sie voll von Ihrem Wissen und Ihren Vorurteilen. Um Neues zu lernen, müssen Sie erst Ihre Tasse leeren.“