Einer von drei

Am Strand des Meeres wohnten drei alte Mönche. Sie waren so weise und fromm, dass jeden Tag ein kleines Wunder für sie geschah. Wenn sie nämlich morgens ihre Andacht verrichtet hatten und zum Bade gingen, hängten sie ihre Mäntel in den Wind. Und die Mäntel blieben im Wind schweben, bis die Mönche wiederkamen, um sie zu holen.

 

Eines Tages, als sie sich wieder in den Wellen erfrischten, sahen sie einen großen Seeadler übers Meer fliegen. Plötzlich stieß er auf das Wasser herunter, und als er sich wieder erhob, hielt er einen zappelnden Fisch in den Krallen.

 

Der eine Mönch sagte: „Böser Vogel!“ Da fiel sein Mantel aus dem Wind zur Erde nieder, wo er liegenblieb.

 

Der zweite Mönch sagte: „Du armer Fisch!“ - Und auch sein Mantel löste sich und fiel auf die Erde.

 

Der dritte Mönch sah dem enteilenden Vogel nach, der den Fisch in seinen Krallen trug. Er sah ihn kleiner und kleiner werden und endlich im Morgenlicht verschwinden. Der Mönch schwieg - sein Mantel blieb im Winde hängen.

 

(spir. Geschichte)

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Kommentare: 2
  • #1

    Linda (Dienstag, 08 Dezember 2020 07:22)

    Mmmmh......geht es darum, den Lauf der Natur nicht infrage zu stellen? Oder geht es darum, niemanden zu verurteilen und statt Mitleid lieber Mitgefühl zu zeigen?

  • #2

    C. (Dienstag, 08 Dezember 2020 08:57)

    Letzteres scheint mir die deutlich elegantere Überlegung zu sein. Bei ersterer kann man schnell aufs Glatteis geraten. Vor allem, wenn man "den Lauf der Natur" auch noch auf Menschen bezieht.