Aus dem Prolog und I
Brüder, wir haben nun den Herrn darüber befragt, wer in Seinem Zelte wohnen dürfe, und wir haben vernommen, was verlangt wird, um dort zu wohnen. Ja, dort werden wir sein, aber nur, wenn wir
die Pflichten eines Bewohners erfüllen. Auch deshalb müssen wir Leib und Seele dienstbereit halten, zum heiligen Gehorsam gegen die Gebote des Herrn. Soweit aber unsere eigene Kraft nicht
ausreicht, wollen wir zu Ihm flehen, daß Er uns den Beistand Seiner Gnade gewähren möge. Und wenn wir den Peinen der Hölle entkommen und zum ewigen Leben gelangen wollen, dann müssen wir jetzt
eilen und so wirken, wie es uns für die Ewigkeit frommt, jetzt, solange es noch Zeit ist, solange wir im Fleisch wandeln, und all das noch in unserem Erdenleben vollbringen können.
Sollte aber doch zur Ausrottung der Fehler oder Bewahrung der Liebe die Billigkeit es erheischen, etwas mehr Strenge in Anwendung zu bringen, dann darfst du nicht gleich in Schrecken den Weg
des Heilands verlassen, der am Anfang nicht anders als eng sein kann.
I. Es gibt bekanntlich vier Gattungen von Mönchen. Die erste ist die der Coenobiten, das heißt jener, die in einem Kloster unter Regel und Abt Gott dienen. Die zweite Gattung ist die der
Anachoreten oder Eremiten, jener nämlich, die diesen Beruf nicht im Neulingseifer für das klösterliche Leben, sondern nach langer Bewährung im Kloster gewählt haben. Sie haben durch die Beihilfe
vieler gelernt, gegen den Teufel zu streiten, treten wohlgerüstet aus der Reihe der Brüder zum Einzelkampf in die Einöde hinaus und haben Kraft genug, unter Gottes Schutz, voll Zuversicht, auch
ohne tröstliches Beispiel anderer, mit eigenem Arm und eigener Faust allein gegen die Verderbnis von Fleisch und Sinn zu kämpfen.
Eine dritte, ganz schlimme Gattung von Mönchen ist die der Sarabaiten. Wie die Erfahrung lehrt, haben sie sich nicht wie Gold im Feuerofen durch das Leben nach einer Regel bewährt, sondern
sind so weich wie Blei. In ihrer Lebensart immer noch der Welt ergeben, belügen sie offenkundig Gott mit ihrer Tonsur. Zu zweien oder dreien, oder auch wohl allein leben sie hirtenlos dahin, in
der eigenen Hürde, nicht in der des Herrn. Ihr Begehren und Behagen gilt ihnen als Gesetz; denn was sie meinen, und was sie wollen, das nennen sie heilig, und was sie nicht mögen, das halten sie
für unerlaubt.
Die vierte Gattung von Mönchen heißt die der Gyrovagen. Diese ziehen ihr Leben lang im Lande umher, und bleiben drei oder vier Tage in den einzelnen Klöstern zu Gast, immer unbeständig,
niemals seßhaft, Sklaven ihrer Launen und der Gaumenlust, in allweg noch schlimmer als die Sarabaiten. Allein, von dem jämmerlichen Wandel all dieser ist besser zu schweigen als davon zu
reden.
Lassen wir sie also und gehen wir daran, mit Gottes Hilfe dem starken Geschlechte der Zönobiten eine feste Ordnung zu geben.
(Benedikt von Nursia, 480-543, aus der "Benediktusregel")
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