Die Wüste ist der unendliche Tempel Gottes; denn Gott wohnt in der Stille und freut Sich am verborgenen Leben. Zu schön beinahe war das Paradies dem ersten Menschen, es trug zu seinen Falle
bei: darum hat uns der Herr jetzt die Wüste angewiesen. Wer sie liebt, der liebt das Leben. In anmutigen Gegenden geht man leicht dem Tode entgegen. Das haben bis auf Christus hin alle Heiligen
der alten Welt wohl erkannt und darum die Einsamkeit für sich auserkoren, um in ihr dem Himmel näher zu sein.
(Eucherius von Lyon, aus dem "Lob des Eremiten")
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Ruth Gabriel (Samstag, 21 November 2020 19:22)
Wüste: unser wahres, Höheres Selbst, das spirituelle Prinzip, die göttliche Welt der Fülle
Paradies: Ichbezogenheit, die Welt der Erscheinungen, der Trennung und des Mangels
"Platon in seinem Höhlengleichnis zum Beispiel beschreibt die Gefangenschaft des Menschen in der Welt der Erscheinungen, die nur "Schatten" der spirituellen Welt der "Ideen" sind.Und er spricht von der Möglichkeit, dass der Mensch seine Fesseln sprengt, sich aus der Dunkelheit seiner irdischen "Höhle" "umwendet" und wieder in die Welt des Lichtes eingeht.
Der Buddha erkennt unter dem Bodhibaum im Licht der spirituellen Dimension, dass alles Leben in der Welt der Erscheinungen Leiden ist, dass die Ursache des Leidens die Ichbezogenheit, der Durst nach Dasein in der Welt der Erscheinungen, ist, und dass es einen Weg heraus aus diesem Leiden gibt: die Auflösung dieses Durstes und die Öffnung für die spirituelle Dimension, die er Nirwana nennt.
Jesus spricht vom "Reich der Himmel" (Mat.4,17), der göttlichen Welt der Fülle, die durch "Seligkeit", nämlich Abwesenheit aller irdischen Interessen und Konflikte charakterisiert ist, während sich die irdische Welt im Griff ...der Selbstgerechtigkeit - ...der Trennung von Gott - befindet. Er lehrt einen Weg der "Umkehr" oder Buße (Mat.4, 17), auf dem die irdische Welt verlassen werden kann: Sein Leben, das Leben der Ichbezogenheit, verlieren um des Reiches Gottes willen. "
aus Konrad Dietzfelbinger, "Erlösung durch Erkenntnis - Die Gnosis"
Simon (Sonntag, 22 November 2020 14:17)
Oder:
Ohne Wüste, kein Geschmack von Wasser.
Diana Michaelis (Montag, 23 November 2020 19:09)
Das Paradies ist die Welt der Manifestationen, die Wüste die absolute Welt.
Im Paradies ist alles scheinbar Wesentliche zum Überleben in Reichweite, ohne dass man seine Arme ausstrecken muss: Leibliche und sinnliche Genüsse, es ist für alles gesorgt, was existenziell ist für das reine (körperliche) Überleben. Das Paradies erfordert aber ein wesentlich höheres Maß an Erkennen, Ausrichtung und Bewegung, um nicht in Trägheit, Völlerei, Tumbheit etc. zu enden, sich einzurichten. Paradies in diesem Sinne funktioniert für uns auf unserer Entwicklungsstufe nicht wirklich. Höchstens als Ausgangspunkt.
In der Wüste ist man mit existenziellen Herausforderungen anders konfrontiert, sie erfordern Bewegung und Bemühung, um sie zu bewältigen: Extreme Hitze am Tag, extreme Kälte in der Nacht, Durst und Hunger, Schutz vor Witterung und Reduktion auf existenziell wichtige Dinge. Man ist gezwungen, sich um die Fortführung der Existenz zu bemühen. Doch darüber hinaus ist man gefordert herauszufinden, was essentiell ist. Essentiell bedeutet „wesentlich, zum Wesen (einer Sache) gehörig“. Das Wort leitet sich aus dem lateinischen von „essentia“ ab und bedeutet „Wesen“- Essenz.
Was ist das Wesen-tliche, die Essenz?
Stille und Einsamkeit kann man als Abwendung von verschiedenen Dingen und auf verschiedenen Ebenen finden: Abwendung von der materiellen Welt, Rückzug von rastloser Tätigkeit, Unersättlichkeit auf verschiedenen Ebenen, Lebenslärmreduktion. Man wird auch stiller und einsamer wenn man nicht mehr so mitkonsumiert.
Wer bin ich wirklich? Und wo finde ich mich?
Es entsteht Raum für wahre Fülle.
Als Hinwendung kann es nur eine Bewegung hin zu Gott, zum Gott-Sein in uns sein.
Wo könnte man Gott besser erkennen als in der Wüste, wo die Schätze im Verborgenen gehoben werden müssen?
Wir müssen durch die Wüste um uns zu finden.
In der Wüste ist man auf sich selbst zurückgeworfen.
Es erfordert Orientierung. Aufrichtung. Ausrichtung.
In Stille und Einsamkeit, in der Reduktion, erfährt man das wahre Sein.
Gott ist der Anfang, der Weg, das Ende, trotz der Suche immer da.
Mit und in ihm wird die Wüste zum wahren Paradies.
Jonas (Dienstag, 24 November 2020 09:33)
Für mich stellt die Wüste ein Synonym für den göttlichen Urgrund dar, der Teil Gottes, der uns nicht direkt zugänglich, aber erfahrbar ist. Die Wüste ist geprägt von Öde, Leere, scheinbare Leblosigkeit, alles Attribute, die man dahingehend deuten könnte.
Der äußerliche (physische) Rückzug in die Wüste wäre ein Bild für mich, dass der Mensch sich im Inneren wieder mit diesem Bereich verbindet, mit dem Vater wieder eins wird. Man könnte auch Jesus' 40 Tage in der Wüste in dieser Hinsicht interpretieren.
Paradies empfinde ich persönlich dann, wenn die AP als bewusstseinsvermittelndes Wirkungsgefüge so weit in den Hintergrund tritt, dass das HS diese Funktion übernimmt. Absolute Freiheit, Freude, Leichtigkeit, Selbstgenügsamkeit, Demut, Verbundenheit usf. stellt sich ein, man könnte es in Summe als Glückseligkeit bezeichnen. Bei einem Durchbruchserlebnis fällt der Unterschied am stärksten auf.
K (Donnerstag, 26 November 2020 13:00)
"Zu schön beinahe war das Paradies dem ersten Menschen, es trug zu seinen Falle bei."
In Wikipedia ist zu lesen: Eva isst "Vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse."..."Da sich Adam und Eva nach dem Genuss der Früchte mit Feigenblättern bekleiden, könnte mit der verbotenen Frucht eine Feige gemeint sein, die in der biblischen Systematik der Früchte die 4. Frucht ist (vergleiche Dtn 8,8 EU) und auf die Zahl Vier verweist, die symbolisch für die materielle Welt steht."
Die materielle Welt birgt Ablenkung, Identifikation mit Alltagspersönlichkeitsaspekten, Einrichtung in ein mehr oder weniger angenehmes Leben.
Die Wüste symbolisiert Stille, Abwesenheit von üppiger Landschaft und damit Konzentration auf das Wesentliche. Das Leben in der Wüste birgt keine Bequemlichkeit und damit die Chance zur Ausrichtung auf Gott, anstatt Einrichtung in ein bequemes Leben. Die Wüste erleichtert die Konzentration auf die Stille und das Wesentliche in einem selbst.