Nichts-Nicht VI

Wie man Ihn preisen soll

Möchten wir doch - auch wir! - in jenes Dunkel eindringen können, das heller ist als alles Licht, möchte es auch uns gelingen, auf jedes Wissen und auf jedes Erkennen zu verzichten, möchten wir doch wenigstens erkennen, daß niemand Den kennen kann, Der jenseits von aller Sicht und von aller Erkenntnis bleibt.

Denn dies allein ist wahrhafte Sicht und echte Erkenntnis: nur durch die Tatsache selbst, daß man auf alles verzichtet, was ist oder nicht ist, und das man sich außerhalb des Geschaffenen stellt, feiert man würdig und wahr das Unerschaffene Licht, das erschaffend stets im Unerschaffenen bleibt.

So etwa wie ein Bildhauer, um zu einer Wesensgestaltung zu gelangen, mit Hammer und Händen den Marmor von aller Materie reinigen muß, die dem reinen Anschauen der in ihm noch gänzlich verborgenen Form im Wege steht: unsere einzige ausführbare Tat ist das Wegräumen solcher materieller Hindernisse! Nur dies negative Aberkennen kann uns erlauben, die verhüllte Schönheit des unbekannten Bildes zu offenbaren.

Aber um die absprechenden Verneinungen heilig zu feiern, werden wir auch, so glaube ich, einen Weg einschlagen müssen, der genau dem entgegengesetzt ist, den wir wählen, wenn wir zusprechende Eigenschaften bejahen: für diese müßen wir allerdings mit den höchsten, allgemeinsten Attributen beginnen, und von da können wir dann über die mittleren zu den niederen und handgreiflicheren Konkretionen Stufe für Stufe hinabsteigen. Für die Verneinungen nicht. Hier ist unumgänglich, gerade mit dem äußerlich Fasslichsten zu beginnen, um dann Stufe für Stufe zu den Höhen des Allgemeinsten aufzusteigen und zuletzt das Urerste des Wesens durch Weghauen aller nicht zutreffenden Beschränkungen würdig herauszulösen. Dann erst werden wir hüllenlos jene Unkenntnis begreifen, die jedes geschaffene Wesen unserer Endlichkeit verhindert, der Kenntnis des Unbegreiflichen näherzukommen. Denn die Lichter des Seienden verdecken das dunkle Urlicht des Schöpferischen, das doch das unvergleichlich hellere ist.

 

(Dionysios Pseudo-Areopagita, "Migne")

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