Nichts-Nicht V

Bejahende und verneinende Theologie

In meinen Entwürfen zur Wissenschaft von Gott habe ich bereits die Bejahungen untersucht, welche eine positive Theologie Gott zusprechen kann. Ich habe gezeigt, in welchem Sinne es zu verstehen sei, wenn wir die göttliche Natur gut, einig, dreifaltig nennen, ferner was jenes ist, das wir in Ihr als Vaterschaft, was jenes, das wir in Ihr als Sohnschaft bezeichnen; ferner in welchem Sinne die Theologie vom göttlichen Geist spricht, und wie aus dem Herzen des Ur-Guten - das selbst ungreifbar und unsichtbar bleibt - das Licht jedes Guten hervorbricht; wie es sich aus Ihm über alles Geschaffene hinbreitet, ohne durch die Ferne an Kraft einzubüßen und ohne je geringer zu werden: unerschöpflich aus Ihm strahlend, ewig in Ihm ruhend, verlässt es Ihn nie. Ich habe auch angedeutet, wie Jesus aus dem Dunkel dieses Unerschaffenen Lichtes herausgetreten ist, ohne es doch je zu verlassen, und wie Er in Wahrheit und über alles Nur-Wesenseiende hinaus ganz und gar menschliche Natur anzunehmen für gut fand, um die einzigmögliche Brücke zu werden zwischen dem unendlichen Außer-All und jedem endlichen Nur-Hier. Und noch viele andere Mysterien haben meine theologischen Entwürfe zu deuten versucht, immer aus den Worten der Schrift.

In meiner Abhandlung über die göttlichen Namen ist gezeigt worden, warum Gott als das allumfassende Gute bezeichnet wurde, als das All-Sein, das All-Schaffen, das All-Leben, als die All-Wesenheit und All-Kraft, und so weiter, und in wie fern Er mit allen uns verständlichen Namen des göttlichen Allwirkens benannt werden kann. In meiner symbolischen Theologie sind die unähnlichen Ähnlichkeiten untersucht worden, mit deren Hilfe wir Göttliches durch sinnlich Fassbares versinnbildlichen, also mittels der Sinne zum Sinn gelangen können: es wurde gezeigt, was göttliche Gestalten, Formen, Glieder, Werkzeuge für uns veranschaulichen sollen, immer in Hinblick auf das unfassbar Göttliche; es wurde der übertragene Sinn von Orten und von Schmuck in Bezug auf Gott, von Zorn, Trauer, Groll in Bezug auf Gott, von Trunkenheit, Rausch, Eidschwüren oder Flüchen in Bezug auf Gott erklärt, und was Schlaf und Wachen und die anderen heiligen Ähnlichkeiten in den Bildern symbolischer Gottesgestalten bedeuten.

Ich nehme an, es ist dir bereits aufgefallen, um wieviel mehr Worte und Erklärungen solche symbolischen Bilder des Unvorstellbaren brauchen, so dass die Abhandlung über die symbolische Theologie notwendigerweise viel umfangreicher geraten musste als die Entwürfe zur Wissenschaft von Gott und die »Namen Gottes« zusammengenommen.

Ganz anders, je höher wir uns zum Einen erheben. Da werden unsere Begriffe aber auch um so reiner, wahrer, bestimmter, denn alles eben noch Verständliche schmilzt und strömt in diesem Einen zusammen.

Doch jetzt, da wir bis zur absoluten Urdunkelheit emporsteigen, welche alles Vorstellbare von oben her und von unten her und aus allen Vorder- und Hintergründen umfasst - weil sie ja die Voraussetzung für jedes Aufleuchten ist - jetzt handelt es sich nicht mehr um Bestimmtheit, sondern um das Aufhören der Gültigkeit von Worten und Gedanken überhaupt. Als noch unsere Untersuchungen vom Allgemeinen zum Besonderen herabschritten, nahm deren Umfang zu, je mehr wir uns von den Höhen entfernten, um bis in die Niederungen der Einzelerscheinungen vorzudringen. Jetzt aber, da wir vom Fassbaren in Richtung auf die unfaßbaren Höhen emporzusteigen uns anschicken, wird sich der Umfang unserer Rede immer mehr verengen - bis wir an einem Punkt unseres Anstieges gelangen, wo wir ganz und gar verstummen müssen, um uns still dem Unsagbaren einzufügen.

Fragst du aber, ob es wirklich nötig ist - und warum -, nur von Oben her zu beginnen, wenn es sich um Bejahungen handelt, und nur von Unten her, sobald wir es mit Verneinungen zu tun haben? Dann antworte ich dir: um Bejahendes auszusagen von Dem, Der jede Bejahung übersteigt, mussten unsere Behauptungen ihre Stütze in der Höhe suchen, also bei allem für uns gerade noch Sagbaren suchen, das Ihm trotzdem schon so nahe wie möglich käme. Dagegen, um Negatives von Ihm auszusagen - von Ihm, der jede Verneinung übersteigt -, müssen unsere Behauptungen notwendigerweise damit beginnen, zunächst zu verneinen, was Ihm am fernsten liegt: also das Besondere.

Denn ist es nicht wahr, dass Er leichter das Leben oder die Güte genannt werden könnte, als etwa Luft oder Gestein? Und dass der Irrtum größer wäre, Ihn rachetrunken oder zornig zu nennen, statt »Das zeugende Wort« oder »Den sinngebenden Geist«?

 

(Dionysios Pseudo-Areopagita, "Migne")

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