Nichts-Nicht III

Über die Unfaßbarkeit Gottes

Noch höher steigend sprechen wir es jetzt aus, daß dieser Urgrund nicht Seele ist und auch nicht Geist, daß Ihm weder Einbildungskraft zu eigen sein kann noch Meinung, noch Vernunft, noch Erkenntnis; daß Gott weder ausgedrückt werden kann noch auch Ausdrücke vor anderen Ausdrücken wählt. Er kann auch weder Zahl haben noch Ordnung, noch Größe, noch Kleinheit, Er kann nicht Gleichheit sein, nicht Ungleichheit; Er kann nicht Ähnlichkeit sein, nicht Unähnlichkeit; Er kann nicht unbeweglich sein, noch auch Sich bewegen, kann weder Seine eigene Veränderung wollen, noch Seine eigene Veränderung bewirken. Er ist auch nicht »das Mögliche«, noch auch »das Licht«, lebt nicht und ist auch nicht Leben (welches immer Veränderung wäre): Er ist also auch nicht Essenz oder Existenz, nicht Sein, nicht Zeit, nicht Wirken nicht Gelten, nicht Abfolge, nicht Beharrung, nicht Hingebreitetsein und kein Hinbreiten - man kann Ihn daher mit Gedanken niemals fassen. Er ist aber auch nicht Wissen, nicht Wahrheit, nicht Herrschaft, nicht Weisheit, nicht die Eins oder Einheit oder Göttlichkeit oder Güte oder Schönheit oder Geist in dem Sinne, in welchem wir Menschen es begreifen könnten. Er ist nicht Vaterschaft, nicht Kindschaft, nichts was sich mit irgend etwas Bekanntem oder Erfahrbarem irgend eines erschaffenen oder auch nur erschaffensmöglichen Wesens vergleichen ließe. Er ist nichts von dem, was dem Sein angehören könnte.

Und so kann Ihn niemand erkennen, so wie Er ist, aber auch Er, als der Unendliche Schlichthin, kennt uns nicht: Er kann das Endliche nicht als ein bloß Endliches hinnehmen, denn auch dies wäre schon Verzicht auf Unendlichkeit.

So entzieht Er sich unserem Denken, Rufen, Wissen, ist also auch nicht Dunkel, auch nicht Helle, nicht Irrtum oder Wahrheit; man kann Ihm nichts zusprechen vor anderen, nichts absprechen vor anderen, nichts anvertrauen, und nichts ableugnen - denn wenn wir Ihm im Endlichen Grenzen setzen, durch Zuspruch oder durch Leugnung, muten wir Ihm Beschränkungen zu, die an Ihn niemals heranreichen können. Und soviel wir Ihm auch gläubig zuschreiben mögen, glauben wir doch in all unserer Frömmigkeit nie etwas Ihm Zumutbares, da Er jenseits von aller Zumutung bleibt. Er allein ist der Urgrund, der allumfassende Ursprung alles Seins und Nichtseins, darin Vollkommenheit und Überschwang, die Fülle von Allem und der Verzicht auf Alles und die Jenseitigkeit selbst über Alles umschlossen liegt. Kein Sein und kein Nichtsein kann Ihn treffen, und Ja und Nein erreichen Ihn nicht.

 

(Dionysios Pseudo-Areopagita, "Migne")

Kommentar schreiben

Kommentare: 0