Der Urheber alles Wahrnehmbaren kann nicht Selbst wahrnehmen
So sagen wir es denn: der Urgrund des Alls, über alles hinaus, was Schöpfung heißt, kann nicht Stoff sein, nicht Geist, nicht Wesen, nicht Leben, nicht Bewußtsein; nicht Körper, Figur, Form,
Bild, Idee, Qualität oder Quantität oder Masse; Er kann nicht an einem Orte mehr sein als an einem anderen, kann also nicht konturenhaft gesehen oder überhaupt durch abgrenzende Sinne oder
Gedanken erfaßt werden; also kann Er auch weder Sinne erregen noch durch Sinne erregt werden, kann überhaupt nicht gestört werden, entzieht sich jeder Ordnung oder Unordnung und schon gar jedem
Verstricktsein in materielle Unterscheidungen. Kein Zufall und keine Beziehung und kein Mißlingen kann Ihn je betreffen oder gar Seine Allmacht beschränken, ebensowenig wie ein Mangel an Licht -
und keine Veränderung oder Wandlung oder Entwertung, keine Vernichtung, keine Teilung, keine Entbehrung, kein Abströmen oder was sonst dem geschaffenen Bereich der Sinne angehört, hat je bei Ihm
statt.
(Dionysios Pseudo-Areopagita, "Migne")
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Jonas (Dienstag, 10 November 2020 10:20)
"Der Urheber alles Wahrnehmbaren kann nicht Selbst wahrnehmen" - ja, aber er kann sich über uns, die wir uns als getrennt von ihm sehen (obwohl wir es nicht sind), an seiner Schöpfung erfreuen. Wie Angelus Silesius im Cherubinischen Wandersmann auf vielfältige Weise dargestellt hat.
Wir sind seine Ohren, Augen, können riechen, schmecken und empfinden. Und können seinen Willen, sofern wir ihn erkennen vermögen, in den Welten der Trennung verwirklichen.
Jonas (Dienstag, 10 November 2020 12:06)
„So sagen wir es denn: der Urgrund des Alls, über alles hinaus, was Schöpfung heißt, kann nicht Stoff sein, nicht Geist, nicht Wesen, nicht Leben, nicht Bewußtsein; nicht Körper, Figur, Form, Bild, Idee, Qualität oder Quantität oder Masse;“
Dass die Dinge, die oben aufgezählt sind, im Nichts-Nicht (Urgrund/Gott Vater) außerhalb der Trennungswelten nicht vorhanden sind, ist eigentlich vordergründig einleuchtend. Auch „Leben“ erfährt erst in Verbindung mit Bewegung eine Bedeutung, passt also auch nicht in den Urgrund.
Bewußtsein ist allerdings meiner Meinung nach eine nähere Betrachtung wert, da es als ein Feld gesehen werden kann, in dem trennungsweltliche Dinge abgebildet werden und dadurch (menschlicher) Reflexion erst zugänglich werden. Da Gott aber alles durchdringt und IST, benötigt er so einen „Spiegel“ eher nicht.
Wie sieht es aber mit Gewahrsein aus, dem Zwilling von Bewusstsein? Dass Gott sich seiner selbst gewahr ist, auch außerhalb der Trennungswelten, davon kann man eigentlich ausgehen – oder nicht?
Meiner Erfahrung nach (ich hoffe, ich darf hier davon schreiben), ist im Urgrund weder Bewusstsein noch Gewahrsein, auch kein Licht oder Liebe. Es ist dort einfach nur leer, absolut dunkel, still, ruhend, unbegrenzt, unendlich - aber trotzdem IST es. („Du weißt nicht, was es ist, du weißt nur, dass es ist“ – frei nach Meister Eckhart)
Eine These: Man könnte auch sagen, das Nichts-Nicht ist der Teil Gottes, der uns mit unseren derzeitigen Möglichkeiten als Mensch einfach nicht zugänglich ist. Um Gott erkennen zu können brauchen wir deshalb den Logos und den heiligen Geist (die Schöpfung, Licht/Liebe), nur durch diese, für uns erkennbaren Aspekte seiner selbst, ist es uns möglich, „zum Vater zu kommen“.
Nichtsdestotrotz können wir uns aber auf den Urgrund einstimmen, können versuchen, uns mit ihm zu verbinden. Diese Einstimmung erzeugt aber nicht, wie man möglicherweise vermuten könnte, ein Gefühl der Furcht und Angst (bedingt durch die Dunkelheit und Leere) – ganz im Gegenteil, es stellt sich Ruhe und ein Gefühl der Weite ein, es fühlt sich für mich an, fest in ihm verankert zu sein.
Wie empfindet ihr es?
C. (Dienstag, 10 November 2020 17:00)
Ich bin da im Wesentlichen bei Jonas. In den TW ist Gott über seinen logoischen und heilig-geistigen Aspekt erfahrbar. Jenseits davon ist Pseudo-Dionysios meiner Ansicht nach zu hundertprozentig. Er hat zwar in LETZTER Konsequenz recht, verliert aber die Möglichkeit gradueller Annäherung aus den Augen. Wie Jonas sagt: Man kann dort sein, und man kann dort - wenn auch möglicherweise bis zur Theose begrenzte - Erfahrungen machen. Die sind aber schon gültig. Das Meer ist vor Irland salzig, und es ist auch vor Japan salzig. Wenn wir es auch nicht zugleich erfahren können.
C. (Dienstag, 10 November 2020 17:03)
Mit der Theose werden die Dinge wirklich tricky. Einerseits ist ja keiner mehr da, der die Erfahrung machen könnte. Andererseits aber eben doch. Das wird bestimmt ein Vergnügen werden.