Die göttliche Schönheit besteht nicht in der schönen Form und äußeren Wohlgestalt, sondern in der unaussprechlichen Seligkeit. Wie nun die Maler menschliche Gestalten mit Farben auf das Holz
übertragen und dem Bilde die rechten und entsprechenden Farben geben, derartigen damit die urbildliche Schönheit genau auf das Abbild übertragen werde: so müssen wir uns auch vorstellen, daß
unser Schöpfer durch die Vorzüge, die Er uns mitteilte, wie durch Farben das Bild mit Seiner eigenen - als des Urbildes - Schönheit schmückte und Seine Herrscherwürde an uns sichtbar
machte...
Man verstehe mich aber nicht so, als sagte ich, Gott handle ähnlich wie die Menschen, nämlich durch verschiedene Kräfte. Denn unmöglich kann man in Gott, dessen Wesen einfach ist, eine
verschiedene und mannigfaltige Tätigkeit annehmen. Auch wir haben eigentlich nicht viele Kräfte, wodurch wir handeln, wenn wir auch die Dinge auf verschiedene Weise während unseres Lebens durch
die Sinne wahrnehmen. Eine einzige Kraft ist der uns innewohnende Geist, welcher durch jeden einzelnen unserer Sinne die Dinge wahrnimmt: er sieht die Erscheinungen durch die Augen, er vernimmt
durch das Gehör, was gesprochen wird, er liebt das Angenehme und wendet sich vom Unangenehmen ab, er gebraucht die Hand, um mit ihr zu ergreifen, was er will, und um zurückzustoßen, was er für
nützlich hält. Er gebraucht sie dazu als Werkzeug. Wenn darum auch der Mensch von Natur verschiedene Sinneswerkzeuge hat, so ist doch der Geist nur Einer, welcher durch sie alle wirkt und sich
durch sie alle bewegt und jedes auf entsprechende Weise gebraucht; er ist immer derselbe, und die Verschiedenheit der Tätigkeiten ändert sein Wesen nicht. Um wie viel weniger kann man in Gott
wegen verschiedener Tätigkeiten eine Geteiltheit des Wesens annehmen. Gott, der das Auge gebildet und das Ohr gepflanzt hat, wie der Prophet sagt, hat diese Tätigkeiten dem Wesen der Menschen
nach Seinem Bilde wie charakteristische Kennzeichen mitgegeben. Denn da Gott sprach: »Laßt uns den Menschen schaffen nach unserm Bilde«, und durch die Mehrzahl (»unserm«) die heilige
Dreifaltigkeit andeutete, so hätte er von dem Bilde nicht in der Einzahl gesprochen, wenn die Urbilder einander unähnlich wären.
Da aber das Bild Eines ist, nicht Eines dagegen das Urbild des Bildes; wer ist nun so unverständig, daß er nicht weiß, daß, was Einem Dritten ähnlich ist, auch untereinander ähnlich
ist?
(Gregor von Nyssa, †394, aus "Über die Schöpfung des Menschen" aus Cap. 5 und 6: "Der Mensch, ein Ebenbild Gottes")
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