Es kommt vor, dass jemand eine Leidenschaft um größerer Wollust willen beschneidet, und er wird von denen gerühmt, die seine Absicht nicht kennen. Vielleicht weiß er aber auch nicht einmal selbst, dass er sich vergebens müht.
(Markos der Asket, "Zweihundert Kapitel über das geistige Gesetz", Kap. 98)
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C. (Sonntag, 04 Oktober 2020 11:22)
Die drei Zauberworte sind recht schnell zu finden. Das ganze Dilemma unserer irdischen Mühen kann erkannt und mit etwas mehr Worten benannt werden...
Jonas (Sonntag, 04 Oktober 2020 11:39)
Die drei Zauberworte in dem Text könnten Leidenschaft (=was Leiden schafft), Wollust (ich will Lust) und Ruhm (ich will Anerkennung) sein.
Markos der Asket geht in seinem Text auf die gängige menschliche Praxis ein, dass man oft nur eine Schwäche gegen eine andere austauscht, wenn es der AP einen Vorteil bringt bzw. opportun erscheint. Letztlich tauscht man aber lediglich einen Sack (AP) voll Flöhe ((animalische negative) Elementale) gegen einen Sack mit anderen Flöhen ein. Es bleiben aber immer Flöhe (quängelig lästige, energiesaugende Elementale der animalisch dominierten AP, die immer wieder reenergetisiert werden wollen).
Ziel wäre es eigentlich, die Flöhe in der AP loszuwerden, damit Ruhe einkehren kann.
Simon (Sonntag, 04 Oktober 2020 21:07)
Das Beschneiden einer Leidenschaft kann eine größere Ausprägung dieser Leidenschaft erst mal eindämmen.
Sie wird aber, wie Jonas schon geschrieben hat, über kurz oder lang lediglich ausgetauscht werden und taucht so lange in einem neuen Gewand auf, bis wir unsere Absicht dahinter erkennen.
Wenn wir Unterdrückung mit Befreiung verwechseln (was von außen, manchmal so aussehen mag), ist die Sicht (oder Suche) der Absicht, ein Anfang von Einsicht.
Ruth Gabriel (Montag, 05 Oktober 2020 07:34)
Ich lese hier die Zauberworte "Aufgabe des Eigenwillens" oder anders "DEIN Wille geschehe" heraus.
Das Dilemma unserer irdischen Mühen scheint mir das Spannungsfeld zwischen Eigenwillen und der Hingabe an Gott zu sein. Wir benötigen für unsere Entwicklung unsere Willenskraft, doch die Vorstellung, dass wir damit unser "Ziel" erreichen, führt uns in die Irre. Ausrichtung - Einrichtung -Ausrichtung... Solange der Mensch auf seinem Weg in den TW unterwegs ist, umfasst das wohl immer beides, bzw. sollte das ein bewusster dynamischer Prozess des Festhaltens und wieder Loslassens sein.
Ruth Gabriel (Montag, 05 Oktober 2020 08:10)
Ergänzung zu #4:
Wir müssen unsere Vorstellungen darüber, wie etwas sein sollte oder zu sein hat, loslassen.
Ruth Gabriel (Montag, 05 Oktober 2020 08:18)
Ergänzung zu #5:
Weg-Arbeit ist kein Deal mit Gott, in dem wir für eine definierte "Leistung" einen "Gewinn" erhalten, der genau unseren Vorstellungen entspricht.
Ruth Finder (Montag, 05 Oktober 2020 20:17)
"Um jemand/etwas Größeren Willen" - hier könnte der Hase im Pfeffer liegen (da stimme ich vorausnehmend C. zu).
Auch im geistig-spirituellen Bereich wird man nicht so selten aus falschen Vorstellungen - von dem Wunsch/ der Lust nach MEHR getrieben - in die Irre geführt: Noch ein anderes (längeres/lobpreiswürdigeres) Gebet, eine andere (schwierigere/ scheinbar anspruchsvollere) Übung, ein anderer (höherer/berühmterer) Lehrer usw. All das ist mit richtiger Haltung nicht zu verneinen. Aber man müsste genau schauen, welche Absicht wirklich hinter dem Wunsch nach mehr steckt, und ob man seine bisherigen "Leidenschaften" schmälert. Vielleicht die einzige "Rechfertigung" für die (welche auch immer) Steigerung ist das Spüren einer höheren Macht/ eines höheren Willens, der/dem wir nicht widerstehen können.
Ansonsten bleibt man bei seinen scheinbar unspektakulären spirituellen "Leidenschaften" und sucht sie mit richtiger Haltung noch tiefer zu ergründen.
Dazu zwei chassidische Geschichten:
Rabbi Levi Jizchak von Berditschew und sein Schüler Ahron waren auf einer Reise und gasteten unterwegs in Lisensk bei dem großen Rabbi Elimelech. Als der Berditschewer weiterfuhr, blieb sein Schüler in Lisensk, setzte sich in die "Klaus", das Bet- und Lehrhaus Rabbi Elimelechs, und lernte, ohne ihm etwas davon gesagt zu haben. Als der Zaddik am Abend hin kam, bemerkte er ihn. "Warum bist du nicht mit deinem Lehrer abgereist?" fragte er.
"Meinen Rabbi", antwortete Ahron, "kenne ich schon, und so bin ich hier geblieben, um auch Euch kennenzulernen." Rabbi Elimelech trat dich auf ihn zu und fasste ihn am Rock. "Deinen Rabbi meinst du zu kennen? rief er, "du kennst noch nicht einmal seinen Rock!"
Und:
Rabbi Baruchs Enkel, der junge Israel, pflegte beim beten sich heftig zu bewegen und aufzuschreien.
Da sprach er zu ihm: "Mein Sohn, besinne dich auf den Unterschied zwischen einem Docht aus Baumwolle und einem Docht aus Flachs. Der eine brennt still dahin, der andre knistert.
Glaub mir: eine einzige wahre Bewegung, und sei es der kleinen Zehe, ist genug."
C. (Dienstag, 06 Oktober 2020 16:57)
Für mich macht der kurze Text unser andauerndes Problem deutlich, dass wir keine Gewissheit über unsere eigene Motivation erlangen können, obwohl wir uns sooo nach Gewissheit sehnen. Dabei müssten wir eigentlich nur die Gewissheit der Ungewissheit nehmen (da haben wir ja Gewissheit) und in Bewegung bleiben. Recht genutzt wird so die Gewissheit der Ungewissheit geradezu zum Motor einer Entwicklung auf das Eine zu.
Darüber hinaus... Aber was soll ich hier wiederholen, was oben so schön in allen Details herausgekitzelt wurde (und was ich teils gar nicht im Blick hatte).
C. (Dienstag, 06 Oktober 2020 17:19)
Was mir - Wortspielchen - auffiel, war der Begriff Absicht. Ab-Sicht... also "ab" im Sinne von weg, runter, davon. Da klingt das Sich-Entfernen vom Eigentlichen schon an.