Jeder, der auf mich hofft, der in Wahrheit anklopft und ruft, nicht nur mit Worten, sondern in Liebe und im Lichte des heiligen Glaubens, wird meine Vorsehung erfahren. Das gilt aber nicht
denjenigen, die nur anklopfen und mich mit den Worten anrufen: «Herr, Herr!» Ich sage dir, wenn sie mich nicht aus einer andern Gesinnung heraus bitten, so werden sie nicht meine Barmherzigkeit,
wohl aber meine Gerechtigkeit kennen lernen. Wer daher in Wahrheit auf mich hofft, wird meiner Vorsehung teilhaftig, nicht aber, wer an mir zweifelt und auf sich selbst vertraut.
Bedenke nun, dass es der Seele genau so ergeht. Entweder dient sie mir und hofft auf mich, oder sie dient der Welt und setzt auf sie und auf sich selber ihre Hoffnung. Je mehr sie der Welt
dient - fern von mir, mit sinnlicher Dienstbarkeit -, desto mehr dient sie der eigenen Sinnlichkeit und liebt sie. Weil sie aber die Hoffnung auf etwas Endliches, Eitles und Vergängliches setzte,
fand sie in Wirklichkeit gar nicht, was sie suchte.
Die vermessene Hoffnung auf sich selbst, die der Eigenliebe entspringt, verdunkelt das Auge des Verstandes, denn sie nimmt ihm das Licht des Glaubens.
Niemand, weder der Gerechte noch der Sünder, ist von meiner Vorsehung ausgeschlossen.
Als dann mein süßes Wort kam, war kein Prophet mehr nötig, um ihn vorauszuverkünden. Doch in ihrer Blindheit erkannten sie ihn nicht und erkennen ihn auch jetzt noch nicht. Nach den Propheten
sandte meine Vorsehung wie gesagt das Wort, um Mittler zu sein zwischen euch und mir, dem ewigen Gott.
Leben und Tod, Verlust der weltlichen Stellung, Blöße, Kälte, Hitze, Beschimpfung, Spott, Schmähung. All das lasse ich den Menschen durch die andern zufügen. Deswegen bin ich aber
doch nicht die Ursache für die Bosheit des schlechten Willens im Menschen, der Schlechtes und Unrechtes tut oder sagt. Ich gab ihm wohl das Sein und die Zeit. Ich verlieh ihm aber das Sein nicht,
um mich und seinen Nächsten zu beleidigen, sondern um mir und dem Nächsten in Liebe zu dienen. Ich lasse Solches nur zu, um denjenigen, der das erleidet, in der Tugend der Geduld zu prüfen oder
damit er sich selbst erkenne. Manchmal gestatte ich, dass die ganze Welt sich gegen den Gerechten erhebt und ihm zum Schluss noch den Tod bereitet. Darüber entrüsten sich die Menschen der Welt.
Sie halten es für ein Unrecht, einen Gerechten durch Wasser, Feuer, wilde Tiere oder durch die Ruinen eines Hauses zugrunde gehen zu lassen.
Manchmal meinen die Menschen, ich sei grausam und nicht für ihr Heil besorgt, wenn ich Hagel oder Sturm oder Blitz über sie kommen lasse. Ich tue es aber, um die Seele vor dem ewigen Tod zu
retten. Doch die Menschen der Welt sehen in allem das Gegenteil, würdigen meine Taten herab und beurteilen sie nach ihrem eng begrenzten Verstand.
(aus "Dialog über die Vorsehung" von Katharina von Siena)
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