Du willst nach acht Jahren Ruhe finden?

Ein Bruder, der für sich allein wohnte, geriet in innere Unruhe. Da machte er sich zu einem Altvater auf und klagte ihm seine Not. Der Greis aber sprach zu ihm: »Geh, demütige deinen Geist, ordne dich unter und wohne mit anderen zusammen!« Da ging er ins Gebirge und wohnte mit anderen zusammen. Danach aber kam er wieder zu dem Greis und berichtete: »Auch wenn ich mit anderen Menschen zusammen wohne, finde ich keine Ruhe. « Da sprach der Greis zu ihm: »Wenn du für dich allein keine Ruhe findest noch wenn du mit anderen zusammen bist, warum hast du überhaupt Mönch werden wollen? Geschah es nicht, um Bedrängnisse auszuhalten? Sage mir doch: Wieviel Jahre lebst du auf diese Weise?« Und er sprach: »Acht Jahre.« Da sagte der Greis zu ihm: »Glaube mir, ich lebe siebzig Jahre auf diese Weise und habe nicht an einem einzigen Tag Ruhe finden können. Und du willst nach acht Jahren Ruhe finden?«

Ein Bruder wurde oftmals und stark von sinnlichen Begierden angefochten; und wenn er, wie er tat, dagegen kämpfte, konnte er sich der fleischlichen Vorstellungen oft erst recht nicht oder kaum erwehren. Er ging zu einem Altvater und eröffnete sich ihm. Dieser aber, ein unerfahrener Mann, zürnte sehr, schalt den Bruder ob seines elenden Zustandes und erklärte ihn für unwürdig, Namen und Kleid eines Mönches zu tragen. Der Bruder war ganz verzweifelt und dachte: Steht es schon so mit mir, dann will ich den Kampf aufgeben und leben wie die Kinder der Welt. Gott aber fügte, daß ihm auf diesem Wege der Altvater Apollon begegnete. »Mein Sohn«, fragte ihn dieser, »woher kommt denn deine große Verstörtheit und Traurigkeit?« Widerstrebend erzählte er ihm alles und auch das Urteil jenes Altvaters. Apollon sprach: »Nimm es nicht so schwer, keinesfalls aber gib die Hoffnung auf. Siehe, ich bin schon so alt und werde ebenso wie du in meinem geistlichen Leben noch von Gedanken der Unzucht gequält. Du befindest dich in einem Zustand, der überhaupt nicht so sehr durch menschliche Bemühung, als vielmehr durch Gottes Erbarmung geheilt wird. Einmal wird Gott diese Qual von dir nehmen. Bete darum! Jetzt aber gewähre mir die Bitte: Stürze dich nicht in das Leben der Kinder der Welt, kehre wieder um und dorthin zurück, von woher du gekommen bist.« Der Bruder war getrost und tat so. Apollon aber ging von ihm weg geradewegs zu der Zelle jenes enes Altvaters. Vor der Zelle blieb er stehen und betete laut: »Herr, der du zu unserem Nutzen Versuchungen über uns kommen läßt, wende den Krieg, den jener Bruder leidet, auf den Altvater hier hin, damit er in seinem Alter lernen möge, was er in so langer Zeit nicht gelernt hat, nämlich Mitleid zu haben mit Menschen, die von dergleichen Versuchungen geplagt werden.« Daraufhin wurde der Altvater von schweren Versuchungen angefallen und war ihnen so wenig gewachsen, daß er aus seiner Zelle stürzte mit der Absicht, ein Leben gleich den Kindern der Welt zu führen. Aber Apollon erwartete ihn schon auf seinem Wege, hielt ihn an und fragte ihn: »Wohin des Weges, warum so verstört und verwirrt?« Widerstrebend bekannte ihm der Altvater, was ihn so dahintreibe. Apollon sprach zu ihm: »Siehe, nicht einen einzigen Tag hast du leiden und durchkämpfen können, was jener Bruder, den du so töricht verurteilt hast, schon solange leidet und kämpft. Jetzt kehre zurück in deine Zelle und erinnere dich künftig der Worte des Herrn: Ein zerknicktes Rohr soll man nicht zerbrechen, noch einen glimmenden Docht auslöschen.«

 

(aus Gerd Heinz-Mohr, "Weisheit aus der Wüste")

Kommentar schreiben

Kommentare: 0