Der einfältige Paulus

Ein Mann namens Paulus hatte seine Gattin in einem Ehebruch angetroffen, ging, ohne jemandem ein Wort zu sagen, aus dem Hause fort und begab sich, niedergebeugt von Traurigkeit, in die Wüste. Da er unstet umherirrte, kam er zum Kloster des Antonius. Er bat den Heiligen, ihn unter seine Jünger aufzunehmen. Antonius prüfte ihn auf seinen Gehorsam, und er fand ihn darin ebenso willig wie einfältig; ebendeshalb nahm er ihn auf. Eines Tages kamen zu Antonius Brüder, und sie redeten mit ihm tiefsinnige Dinge von den Propheten und von dem Erlöser. Paulus hörte zu und fragte in der Einfalt seines Herzens, ob Christus oder die Propheten früher gewesen. Wegen dieser unwissenden Frage schämte sich Antonius ein wenig für ihn. Er hieß ihn schweigen und fortgehen. Paulus ging in seine Zelle und sprach von da an mit niemandem ein Wort. Antonius vernahm, daß Paulus zu niemandem mehr sprach und auf keine Frage mehr antwortete. Da sagte er zu ihm: »Was hast du?« Paulus der Einfältige antwortete: »Du hast mir gesagt, ich solle schweigen. « Antonius, der dies ja nur so obenhin gesagt hatte, erstaunte, wie ernst der Einfältige in seinem Gehorsam alles befolgte.

Eben dieser Paulus war aber auch groß in der Einfalt seines Vertrauens zu Gott. Daher schickte Antonius späterhin, wenn er Kranke nicht zu heilen vermochte, sie zu Paulus - ihn sollten sie um Segen bitten; denn, sagte Antonius, er beschämt uns alle durch seine Einfalt und sein Vertrauen. Paulus segnete also die Kranken und heilte sie. Eines Tages aber sandte Antonius einen Mann zu ihm, der an Tollwut litt, er solle ihn durch seinen Segen heilen. Aber siehe, zunächst blieb der Tollwütige ungeheilt. Da sprach Paulus gleich einem Kind zu Gott und sagte: »Wenn du ihn nicht heilst, mag ich heute gar nichts essen.« In solchem Maße aber war Paulus, um seines einfältigen Vertrauens willen, der Liebling des Herrn, daß nunmehr der Tollwütige sogleich geheilt wurde.

 

(aus Gerd Heinz-Mohr, "Weisheit aus der Wüste")

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Kommentare: 2
  • #1

    Clemens (Mittwoch, 12 August 2020 10:07)

    Geradezu rührend, die Nummer zwei.

  • #2

    Meister Eckhart (Donnerstag, 13 August 2020 18:25)

    »Gott vermag alle Dinge. Aber das vermag er nicht, daß er dem Menschen etwas versage, der demütig und hohen Begehrens ist«