Starke Geduld

»Langsam ist das Erlebnis aller tiefen Brunnen: Lange müssen sie warten, bis sie wissen, was in ihre Tiefe fiel«, sagt Friedrich Nietzsche. Geduld ist eine Lebenskunst. Zum ersten, weil sie gezähmte Leidenschaft ist, zum zweiten, weil sie im besten Sinne eine Zumutung an unsere Treue und unseren Willen zum Aushalten darstellt. Sie vermag Sachlichkeit, Zuverlässigkeit und ein Denken an das Ganze auch da zu praktizieren, wo dieses Ganze noch nicht zu sehen ist. Geduld ist der Mut der Gelassenen. Geduld ist Wachstum: es gibt keine Frucht, die nicht bitter war, bevor sie reif wurde.


Noch näher an der Weisheit der Wüstenväter: Wer keine Geduld hat, hat auch weder Glauben noch Hoffnung. Geduld ist die Frucht des Maßes wie der Erwartung, ein Kennzeichen innerer Festigkeit, auch bei Rückschlägen. Wer zu schnell Resultate sehen will, beraubt sich eines Schlüssels der Freude:


1. Suche immerfort in deinem Verhältnis zu Gott voranzuschreiten; wer nämlich ohne Unterlaß Weniges dem Wenigen hinzufügt, erwirbt schnell einen kostbaren Schatz, der von allen begehrt wird.

2. Wenn dich körperliche Schwäche befällt, dann werde nicht kleinmütig! Denn wenn Gott der Herr will, daß dein Körper schwach sei; wer bist du, daß du mit Unwillen gen Himmel blickst? Trägt er nicht in allem Sorge für dich? Würdest du ohne ihn leben? Trage es also geduldig und bitte ihn, daß er dir gebe, was dir förderlich ist, nämlich, daß du seinen Willen tust, und schicke dich dazu, in Geduld zu verarbeiten, was du in Liebe empfängst.

3. Wer Gott seine Seele schenkt, hat keinen Willen mehr, sondern erwartet in Ruhe Gottes Willen. Wenn du aber deinen eigenen Willen durchsetzen willst, ohne daß Gott mitwirkt, dann wirst du über die Maßen ermüden.

4. Worin immer du dich als Philosoph erweist, indem du es mit Geduld erträgst, das wirst du zur Zeit des Gebetes als Frucht finden.

5. Es ist gut, die Herzensruhe zu pflegen. Ein besonnener Mann nämlich übt die Herzensruhe. Groß fürwahr ist die Pflege der Herzensruhe für die Einsiedlerin und den Mönch. Ganz besonders für die jüngeren. Aber wisse: Wenn der Vorsatz auf die Herzensruhe gerichtet ist, dann kommt sofort der Böse und beschwert die Seele, in Unmut, in Kleinmut und Gedanken. Er beschwert auch den Leib mit Schwächlichkeit, Nachlassen der Spannkraft, Schlaffheit der Knie und aller Glieder, und er bricht die Kraft der Seele und des Leibes; und: >Weil ich krank bin, kann ich den Gottesdienst nicht besuchen.< Aber wenn wir wachsam sind, dann löst sich das alles auf. Da war ein Mönch, den erfaßten, als er in den Gottesdienst gehen wollte, Frösteln und Fieberschauer, und im Kopf spürte er eine Spannung. Da sprach er zu sich: >Siehe, ich bin krank und es kann sein, daß ich sterbe. Ich will mich aufraffen, ehe ich sterbe, und in die Versammlung gehen.< Mit diesem Gedanken bezwang er sich selbst und besuchte den Gottesdienst. Als dieser zu Ende war, hörte auch das Fieber auf. Wieder einmal hielt er diesem Gedanken stand und kam in die Versammlung und überwand den Gedanken.

 

(aus Gerd Heinz-Mohr, "Weisheit aus der Wüste")

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