Beschuldigung

Ein Altvater erzählte: Es gab einmal einen Diakon meines Klosters, der mir sehr lieb war und mich auch sehr liebte. Diesem kam, ich weiß nicht woher, der Verdacht, ich hätte ihm irgend etwas zu Leide getan, und er begann Betrübnis zu tragen und mich nicht, wie er sonst pflegte, anzublicken. Als ich ihn aber so traurig sah, begann ich die Ursache seiner Traurigkeit von ihm zu erfragen. Da sagte er zu mir: »Du hast das und das gemacht.« Obwohl ich mir dieser Sache nicht im geringsten bewußt war, wollte ich ihm Genüge tun und sagte, daß ich nichts von dieser Sache wüßte. Er aber sprach zu mir: »Verzeih, Bruder, aber ich bin nicht befriedigt.« Von ihm fort in meine Zelle zurückgegangen, begann ich mein Herz zu prüfen, ob irgend etwas dergleichen bei mir vorgekommen sei, und fand nichts. Als daher jener den heiligen Kelch in Händen hielt und den Brüdern austeilte, begab ich mich zu ihm und schwor auf denselben Kelch, daß ich nichts dergleichen getan hätte. Aber auch dies genügte ihm nicht. Als ich nun wieder in meine Zelle zurückgekehrt war, wiederholte ich die Worte der heiligen Väter in meinem Gedächtnis und glaubte ihnen, änderte nach kurzer Zeit meine Gedanken und sprach bei mir selbst folgendermaßen: »Dieser Diakon liebt mich ausdrücklich, und von Liebe bewegt, hat er mir gesagt, was in seinem Herzen in bezug auf mich vorging, damit ich nüchterner und wachend sein soll und vielmehr auf mich acht gebe und darüber hinaus nichts tue. Aber du, unglückliche Seele, da du sagst, ich habe dies nicht getan, hast du doch andere unzählbare böse Dinge getan, die dir verborgen sind. Wo ist das, was du gestern getan hast oder vor drei Tagen oder vor zehn Tagen? Hol es zurück, wenn du kannst! Und daher hast du dies wie jenes getan und es ist dir gleich wie jenes verborgen geblieben. So also im Geist betroffen, als ob ich das wirklich getan, aber unter dem übrigen vergessen hätte, begann ich Gott und dem Diakon Dank zu sagen, derweil der Herr mich durch ihn würdig machte; meine Sünde zu erkennen und deswegen Buße zu tun. Ich stand also auf, ging zu dem Diakon, um mich zu entschuldigen und ihm zu danken. Als ich nun an seine Tür klopfte und dann auftat, warf er sich zuerst vor mir nieder und sprach: »Verzeih mir, denn es wurde mir von einem Dämon eingegeben, dich fälschlich in jener Sache zu verdächtigen. In Wahrheit hat mich Gott inzwischen deiner Unschuld gewiß werden lassen.« Und er erlaubte mir auf keine Weise, irgend etwas wiedergutzumachen, sondern sprach: »Es ist nicht notwendig.« Ich aber rühmte den Vater und den Sohn und den heiligen Geist, die unveränderliche und unteilbare Dreieinigkeit.

 

(aus Gerd Heinz-Mohr, "Weisheit aus der Wüste")

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