Der Logos ist also ein platonisches Vermittlungsprinzip, das zwei Extreme verbindet (vgl. Timaios 31c), und darüber hinaus „das der Schöpfung zugewandte Antlitz Gottes als lebensspendende und
lebendige Hypostasierung eines wesentlichen Aspekts des Göttlichen". Als Manifestation des verborgenen Gottes offenbart der Logos zwei wesentliche Seiten der Beziehung Gottes zur Welt, die
schöpferische Macht (poietike dynamis) und die lenkende bzw. bewahrende Macht (basilike dynamis). Der Logos spielt eine zentrale Rolle bei der Rückkehr der Seele zu Gott, und zwar hinsichtlich
ihrer Ermöglichung wie ihrer Durchführung. „Denn wie Gott das Vorbild des Abbildes ist, das hier Schatten heißt, so wird das Abbild zum Vorbild für andere, wie es der Anfang des
Gesetzesbuches deutlich zeigt, wo es heißt: 'Gott schuf den Menschen nach dem Abbild Gottes' (Gen 1, 27); also ist das Abbild nach Gott dargestellt worden, der Mensch aber nach dem
Abbilde..." (Legum allegoriae III, 96). Der Logos wohnt allem, besonders aber dem menschlichen Geist inne. Die Gegenwart des Logos in der Seele, d. h. in ihrem obersten Teil bzw. nous
(Philon übernimmt hier Platons Dreiteilung der Seele, vgl. Legum allegoriae III, 115), ermöglicht die Erkenntnis der Existenz Gottes (vgl. De migratione Abrahami 184-186) wie auch die Rückkehr
der Seele aus ihrem derzeitigen gefallenen Zustand zu Gott.
(B. McGinn, Die Mystik im Abendland, Band 1 Seite 68)
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Ruth Finder (Montag, 20 Juli 2020 11:33)
Wie geil ist das denn! Nachdem ich vor 2 Tagen mit den ersten 20 Seiten aus "Tertium Organum" von P. D. Ouspensky (einem Schüler von Georges I. Gurdjieff) mein Gehirn gegrillt hatte, konnte ich am Ende den folgenden Text verstehen bzw. nachempfinden, in welchem wiederum der vorletzte Satz eine GENAUE Analogie - was unsere Wahrnehmung der Welt betrifft - zu dem fett ausgeschriebenen Teil des Blogbeitrages ist, also zu der Stellung des Menschen in der (Gottes)Bildabfolge.
Clemens, was mag das wohl sein: spirituelle Synergie oder unverschämter Inspirationsklau. ^^
Aber zum Text:
So wird nach Kant alles, was wir in den Dingen antreffen, von uns in sie hineingelegt. Wir wissen nicht, wie die Welt unabhängig von uns aussieht. Und unser Erkennen der Dinge hat nichts gemein mit den Dingen, wie sie außerhalb von uns sind, d.h., wie sie an sich sind. Darüber hinaus, und es ist das wichtigste dabei, hängt unsere Unwissenheit über die Dinge an sich nicht von unserer ungenügenden Erkenntnis ab, sondern rührt aus der Tatsache her, dass wir mittels der sinnlichen Wahrnehmung die Welt überhaupt nicht richtig erkennen können. Dies will besagen: wir können wirklich nicht behaupten, dass, obwohl wir jetzt vielleicht nur wenig wissen, wie bald mehr wissen werden und schließlich zu einem richtigen Verständnis der Welt kommen werden. Es ist nicht wahr, weil unsere experimentelle Erkenntnis nicht eine verworrene Wahrnehmung einer wirklichen Welt ist.
Es ist eine SEHR SCHARFE Wahrnehmung einer VÖLLIG UNWIRKLICHEN Welt, die um uns herum in Erscheinung tritt im Augenblick unseres Kontaktes mit der Welt der WAHREN Ursachen, zu der wir den Weg nicht finden können, weil wir in einer unwirklichen "materiellen" Welt verloren sind. (die oben besagte Analogie - Anm. R.F.)
Aus diesem Grunde bringt uns die Erweiterung der objektiven Wissenschaften um nichts näher an die Erkenntnis der Dinge an sich oder der wahren Ursachen.