Das innere Licht (Lesetipp von K.)

Wie also können wir uns dieses Leben und diese Kraftquelle aneignen, dieses Gebetsleben ohne Unterbrechung leben? – Indem wir ruhig und ausdauernd uns darin üben, unser ganzes Wesen Tag und Nacht in Gebet und Anbetung und Hingabe Ihm zuzuwenden, der uns in der Tiefe unserer Seele ruft. Wir müssen uns daran gewöhnen, unseren Geist auf Ihn zu orientieren. Nach Misserfolgen und Zeiten der Gleichgültigkeit, nach denen wir zu Gott zurückkehren, nach wochen-, monate- und jahrelangen Übungen wird es uns schließlich gelingen, unseren Geist dauernd Gott zuzuwenden. Es ist eine einfache Kunst, die Bruder Laurentius uns lehrt, aber es mag lange gehen, bis wir eine gewisse Beständigkeit erreichen. Jetzt gleich, wo du, in deinem Stuhl sitzend, diese Worte liest, biete dein ganzes Selbst in freudiger, stiller Hingabe Ihm dar, der in dir wohnt. Wende dich mit einem geheimen, dankbaren Stoßgebet in demütiger Bewunderung dem Licht in dir zu, selbst wein es noch sehr schwach ist. Behalte den Kontakt mit der Außenwelt, denn Geistesabwesenheit ist hier nicht am Platze. Spaziere und plaudere, arbeite und lache mit deinen Freunden. Aber hinter den Kulissen lebe ein einfaches Gebetsleben; diene Gott tagaus, tagein. Ein Gebet sei dein Letztes vor dem Einschlafen und dein Erstes beim Erwachen. Und mit der Zeit wirst du, wie Bruder Laurentius, finden, dass der Heilige Geist selbst dann weht und in uns wirkt, wenn wir schlafen.

In den ersten Tagen und Wochen und Monaten benehmen wir uns ungeschickt; die Konzentration, die stete Wachsamkeit, die Anspannung des Willens fallen uns schwer; wir lassen uns häufig durch Unwesentliches von ihm ablenken, vergessen Ihn für lange Zeit, und das ist schmerzlich. Aber unsere Mühe lohnt sich, denn wir haben angefangen, wesentlich zu leben. Durch solche Wochen und Monate, vielleicht sogar Jahre müssen wir uns hindurch arbeiten, bevor Er uns eine sichere Stütze gewährt.

Gleichgültigkeit und Nachlässigkeit sind so häufig. Unsere nächste Umgebung nimmt uns gefangen, unsere Arbeit legt die Hand auf uns. Aber wenn du dich selbst wiederfindest, verliere keine Zeit mit Selbstanklagen; bitte leise um Vergebung und fang dort wieder an, wo du stehen geblieben bist. Überlasse dich mit deinen Fehlern und Versäumnissen Ihm und sage Ihm: „So bin ich, wenn Du mir nicht hilfst." Lass dich nicht entmutigen; geh immer ruhig zu ihm zurück und warte auf Seine Gegenwart.

Zuerst, wenn man sich in der Andacht übt, macht man die Erfahrung, dass die Beschäftigung mit äußerlichen Dingen uns davon abhält, oder, dass wir über dem Beten die Welt vergessen. Wir trachten aber nach Gleichzeitigkeit, nicht nach diesem Wechsel; wir trachten nach einem Gottesdienst, der unser ganzes Leben trägt, nach einer lebendigen Andacht, die als Hintergrund durch alle Augenblicke unseres Lebens strömt. Es braucht in der Tat eine lange Übung, bis wir gleichzeitig auf mehr als einer Ebene leben können. Wir kommen oft lange Zeit nicht weiter, und viele straucheln und geben es auf; sie begnügen sich mit jenem Wechselzustand, weil ihnen die höhere Stufe unerreichbar scheint. Zweifellos gibt uns Gott in Seiner Güte Seine Gaben auch in einer immer wieder unterbrochenen Gemeinschaft mit Ihm; Er zündet unser Licht an, wo wir es bei weitem nicht verdienen. Aber wer sich Gott übergeben hat, dürstet nach einer ununterbrochenen Gemeinschaft der Anbetung, und wir können sicher sein, dass Er sich für uns auch danach sehnt und unserer Schwachheit entgegenkommt. Denn Er schafft das Wollen und das Vollbringen in Seiner Güte und durch Seine Gnade.

Das erste Anzeichen dafür, dass wir gleichzeitig in der Sinnenwelt und in der Tiefe leben können, wird uns darin geschenkt, wenn im Augenblick, wo wir unser wahres, tiefes Selbst wiederfinden, die Empfindung da ist, dass wir Ihn nie ganz vergessen haben. Es ist, wie wenn wir in einen Zustand zurückkämen, der irgendwie in abgeschwächter, getrübter Form immer da war. Was jetzt geschieht, ist nicht eine Wiederaufnahme der unterbrochenen Andacht, sondern die Neubelebung eines Zustandes, der gedämpft immer im Hintergrund da war. Die Ströme Seiner Liebe fluteten immer, aber während wir vorher von ihnen nur getrieben wurden, schwimmen wir jetzt darin. Der Hintergrund eines Gemäldes dehnt sich auch hinter dem großen Baum im Vordergrund aus; wir wissen das nicht bloß verstandesmäßig, sondern wir erfahren es aus dem Bild. Auch wenn wir aus dem Schlaf erwachen, wissen wir, nicht durch eine logische Schlussfolgerung, sondern durch unmittelbare Erfahrung, dass wir während des Schlafes lebten. Denn ausschließliche Beschäftigung mit der Welt ist Schlaf, aber Versenkung in Ihn ist Leben.

Zeiten dämmernder Gleichgültigkeit und wacher Andacht mögen kommen und gehen und abwechseln mit Zeiten, wo wir bald nur äußerlich, bald in der herrlichen Kraft Gottes leben. Und wir lernen es ertragen, dass Er Seine Gaben zeitweilig zurückzieht. Denn wenn nur ein Schimmer von geistigem Hochmut unser werdendes Gebetsleben befleckt, ist es gut, dass Er uns demütigt, bis wir eines größeren Vertrauens würdig sind. Im Anfang unserer Übungen im stillen Gebet meinen wir, dass wir mit unserem Willen etwas machen. Aber die reifere Erfahrung bringt uns zur Erkenntnis, dass wir gesucht, geläutert und diszipliniert worden sind, dass Sein heiliger Wille uns durch eine Kraft, die in uns wartete, schlicht und gefügig gemacht hat. Gott selbst wirkt in unserer Seele tiefster Tiefe; er beherrscht uns immer mehr, je mehr wir willens sind, uns für Seine Wunder zu öffnen. Wir hören auf, selber herrschen zu wollen, während wir Gott zum Zuhörer machen; wir gehorchen freudig dem Meister, der alle Dinge richtig führt.

Wenn wir uns vertrauend an Ihn wenden und Er uns, wenn auch Schritt für Schritt, zu Seinen geheimen Kammern führt, brauchen wir uns nicht mehr aufzuregen und aufzureiben. Wenn Er uns eine immer überzeugendere Erfahrung Seiner Gegenwart schenkt, können wir nichts als danken. Wenn Er uns auf einer unteren Stufe zurückhält, danken wir Ihm für Seine liebevolle Weisheit und Vorsorge und warten, bis Er uns, wenn wir innerlich dazu bereit sind, weiter führt. Denn wir können Seine Gaben nicht im Sturm erobern. Der starke Mann muss zum kleinen Kinde werden, das ohne zu verstehen dem Vater vertraut.


Aber einigen gibt Er zuletzt in der Tiefe ihrer Seele eine wunderbare Ruhe und gleichmäßige Sicherheit, ein beinahe ununterbrochenes Leben demütiger, stiller Andacht in Seiner Gegenwart. Bei Tag und bei Nacht, im Winter und Sommer, bei Sonnenschein und im dunklen Tal, immer ist Er da, der große Meister. Und wir sind bei Ihm, von seiner Liebe umgeben, belebt und doch in Ruhe und Frieden. Wie Kinder vor dem Sündenfall wandeln wir mit Ihm im Paradies, in der Hitze des Tages und in der Kühle der Nacht. Das ist nicht ein ekstatischer Zustand; aber wir sind heiter, unerschütterlich und wissen mit Sicherheit, wohin wir steuern. Wir sind das geworden, was Fox „fest gegründete Menschen“ nennt.

Solche Menschen findet man nicht nur unter den von der Kirche heilig gesprochenen. Es sind die John Woolmans von heute: Hausmütter und Handwerker, Rohrleger und Lehrer, Gelehrte und Unwissende, Schwarze und Weiße, Arme und vielleicht sogar Reiche. Es gibt sie immer noch, und glücklich ist die Kirche, der sie angehören. Sie sind vielleicht nicht weit herum bekannt, sie sind keine Verwaltungsräte, stehen nicht in Amt und Würden, predigen vielleicht nicht von der Kanzeln. Wo man sich etwas auf sein Wissen einbildet, da sind sie nicht. Denn sie verwechseln die Erfahrung nicht mit der Theologie, die Kirchengeschichte nicht mit der Selbstaufgabe in Gott und dein Leben im geheimen Heiligtum. Sie lassen sich nicht irre machen durch äußere Formen. Sie bleiben einfach treu in Seiner unmittelbaren Gegenwart, in Seinem Licht, das hinter allen veränderlichen Formen dasselbe bleibt. Sie haben das Geheimnis des Nazareners gefunden; sie folgen ihm in allem und leben ein schöpferisches Leben in der großen Gemeinschaft derer, die ihr Leben Gott weihen.


Es gibt keine neue Technik, um zu dieser höchsten Stufe zu gelangen, wo die Seele in ihrer Tiefe ständig in Ihm ruht. Unser inneres Beten wird nicht komplizierter, sondern immer einfacher. Zunächst beginnen wir mit einfachen geflüsterten Worten, die etwa so lauten: „Nur dein, dein allein." Oder wir sagen mit dem Psalmisten: „So dürstet meine Seele nach dir, o Gott." Wiederhole diese Worte immer und immer wieder für dich. Denn die bewusste Mitarbeit des Geistes in seiner Oberflächenschicht ist zunächst notwendig, bevor das Gebet in die Tiefe hinuntersinkt und zum göttlichen Grund in uns wird. Ändere die Worte, wenn du dazu getrieben wirst, von Stunde zu Stunde, vorn Morgen zum Abend. Wenn du abschweifst, komm wieder zurück und beginne von neuem. Aber es kommt eine Zeit, wo es nicht mehr nötig ist, das Gebet in Worte zu fassen, die eine gewisse Seelenhaltung ausdrücken. Die innere Haltung genügt. Beuge dich demütig vor Ihm, öffne dich Ihm ganz, damit das Licht in die hinterste Ritze hineinscheinen und alle Finsternis vertreiben kann. Nähere dich Ihm und niste dich ein unter Seinen Flügeln. Staune und bewundere Seine Herrlichkeit. Überlasse dich ganz Ihm. Nähre dich vom Brot des Lebens. Wenn diese Einstellung nach einer gewissen Zeit allzu verschwommen wird, dann komm zu den Worten zurück, die ihr einen festeren Umriss geben.

Eine längere Übung in diesem inneren Gebet führt zu immerwährender Anbetung, völliger Unterwerfung und entspanntem, hingebungsvollem Hören, die keine Worte mehr brauchen, sondern unser ganzes Selbst dauernd Ihm, dein Feuer, zuwenden. Jetzt wird alles einfacher: ein kurzer Blick, ein ruhiges, ergebenes Atmen, eine Einladung genügen. Wir brauchen nicht mehr bestimmte Gebetszeiten, weil alle Stunden unseres Lebens von einer in der Tiefe dahin strömenden stillen Andacht getragen werden. Hinter dem Vordergrund, der sich in Worten ausdrückt, dehnt sich ein Hintergrund aus, den der Himmel beherrscht, denn unser ganzes Wesen richtet sich nach Ihm. Wir sehen die Welt durch das schimmernde Licht der göttlichen Gegenwart hindurch und mögen befähigt werden, ihrer Qual und ihrer Unruhe mit einer Kraft zu begegnen, die im matten Abglanz an den Menschensohn erinnert.

Man mag dieses Gebet menschlich erklären als unser Werk, als den Erfolg unserer Übungen, die unser Unterbewusstes beherrschen. Aber diese Erklärung geht fehl, weil sie die Selbstgesetzlichkeit und Gottbezogenheit des Gebetslebens nicht berücksichtigt. Es gibt Zeiten, wo das Gebetsleben so mächtig und ursprünglich durchbricht, wie wir es nicht hervorbringen könnten. Es durchströmt uns wie eine gewaltige Flut. Unsere Gebete gehen unter in einem weltumfassenden Wort, einem Wort das einmal in der Zeit Fleisch geworden ist. Wir beten, und doch sind nicht wir es, die beten; ein Größerer betet in uns. Unser Selbst wird schwächer und schwächer; aber wir verlieren es doch nie ganz. Wir sind zum Gebet geworden und ordnen uns im Weltall ein. In heiliger Stille beugen wir uns in Ewigkeit; wir wissen, dass Gottes Wille uns und alle Dinge in Seiner zwingenden Liebe umfasst. Unsere Initiative besteht nur noch darin, dass wir unsere Einwilligung geben; Er wirkt und betet und trachtet durch uns nach der Vollendung Seines Willens. Unser Leben wird köstlich und kraftvoll. Hier wird das innere Leben ganz selbstständig. Wir werden gebetet. Das göttliche Leben, das sich verwirklichen will, fließt durch uns in die Welt der Menschen. Freudig werden wir zu seinem Werkzeug. Manchmal werden wir dazu getrieben, für bestimmte Menschen oder für bestimmte Sachen so inständig und ungestüm zu beten, dass unser Gebet, subjektiv gesehen, fast unwiderstehlich scheint. Manchmal geht das Gebet, das durch uns strömt, hinaus zu allen Seelen, die eine gleiche Schau verbindet, und hilft ihnen durch seine liebende Fürsorge. Manchmal strömt es hinaus in die Welt des verblendeten Ringens und sucht alle, die verloren sind, um sie zu retten.

Nicht oft dürfen wir uns so von Gottes Gebet durchströmen lassen. Aber etwas von dieser Erfahrung bleibt in uns, nicht bloß als eine Erinnerung an eine Zeit, wo die Quellen der Schöpfung offenbar und wir in ihren anschwellenden Wassern mitgerissen wurden. Es bleibt ein immer sich vertiefendes Wissen um etwas, das mehr ist als wir, das mächtig an den Wurzeln unserer Seele arbeitet, und ebenso in der Tiefe aller anderen Menschen. Wir erfahren, dass Gott am Werk ist, um die Welt zu durchdringen und umzugestalten, indem Er die Menschen dazu aufruft, ihr Kreuz auf sich zu nehmen. Wir beugen uns in heiliger Ehrfurcht und werden von neuem eingeladen, uns nahe an die frisch sprudelnden Quellen des Lebens zu halten. Wir staunen, wenn wir dieses Wirken an den Wurzeln unseres Seins aller Menschen und unser Selbst spüren. Und wir sind durch dieses Erlebnis davon überzeugt worden, dass Er, der das gute Werk in uns, wie in Timotheus, begonnen hat, es auch vollenden kann; Er kann unsere immer wieder aussetzende Andacht in eine dauernde Gebetseinstellung, die unser ganzes Leben trägt, verwandeln.

 

(Ein Auszug aus dem Buch von Thomas R. Kelly "Das Innere Licht spüren", Herausgeberin: Religiöse Gesellschaft der Freunde (Quäker), Deutsche Jahresversammlung, Bad Pyrmont, 2017; Auf Seite 34 findet sich eine andere Variante der Beschreibung des "Herz-Jesu-Gebetes")

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