George Fox hatte als junger Mann eine tiefe Einsicht, als er sich mit dieser Frage der inneren Autorität in ihrem Gegensatz zur äußerlichen Autorität der Prediger seiner Zeit
auseinandersetzte; er suchte nach der "Wahrheit im Innern." Diese Wahrheit ist zu jeder Zeit in uns allen; das ist kein christliches Privileg. Fox schreibt in seinem Tagebuch:
"Ich sah klar, dass niemand Moses richtig lesen könne ohne Moses' Geist, dank dem Moses sah, wie der Mensch das Ebenbild Gottes im Paradies war und wie er der Sünde verfiel und wie der Tod
über ihn kam... und weiter herrscht: Also wie sollten sie (all die Sekten der Christenheit) es ertragen zu hören, dass sie zur vollen Größe Christi heranwachsen sollen, wenn sie es nicht
aushalten zu hören, dass irgendjemand zur Zeit seines irdischen Lebens von derselben Kraft und demselben Geist erfüllt sein könnte wie die Propheten und Apostel? Obwohl es doch eine sichere
Wahrheit ist, dass niemand ihre Schriften richtig verstehen kann, wenn er nicht vom selben Geist geleitet wird, in dem sie geschrieben wurden."
Fox benutzt die Sprache des Christentums, aber der Geist der Propheten und Apostel, auf den er sich bezieht, ist ein Geist, der im Menschen existierte, bevor das Christentum Form annahm. Die
Mystiker aller Religionen verweisen auf denselben Geist. Die Namen, die wir ihm geben, sind nicht wichtig; wichtig ist, dass wir unseren Weg finden, diesen inneren Geist zu erkennen.
Fox wuchs mit der Bibel auf. Er benutzte die Sprache seiner Zeit, aber es gelang ihm, durch die äußere Bedeutung zur inneren Geltung durchzudringen. Fox gebraucht die Worte "Christus",
"Christus Jesus" und "Herr" oft, aber ich glaube, dass er mit dem Wort "Christus" im Wesentlichen jemanden meinte, der von Gott gesalbt oder berührt ist, oder dass er Christus als die
Manifestation des göttlichen Geistes in uns verstand. Der Innere Christus, dieser lebendige Hauch des Göttlichen, ist potenziell in uns allen. Die Manifestation des göttlichen Geistes ist nicht
auf den christlichen Glauben beschränkt. Wir sollen alle von diesem "Namenlosen" berührt werden. Der Innere Christus lebt in uns allen (selbst wenn er nur schläft) - vielleicht unter einem
anderen Namen. Ich mag besonders folgende Passage in Fox' Tagebuch:
"Zu James Preston kam ein Indianerhäuptling mit seinem Bruder, und ich sprach und sie verstanden die Sache."
Letztlich kann nicht einmal die christliche Sprache das Wesen dessen erfassen, was im Innersten liegt. Fox ging es nicht darum, die Indianer zum christlichen Glauben zu bekehren; stattdessen
wollte er das Wissen um diesen inneren göttlichen Hauch mit ihnen teilen.
Mit dieser Vorstellung der inneren Autorität in jedem Menschen legten die frühen Freunde ein kraftvolles Zeugnis ab. Isaac Penington schrieb ein Essay über dieses Thema, in dem er sagt, dass
Jesus ein Vorbild dafür darstellt, wie wir leben sollten. Jesus leitet seine Schüler dazu an, nicht Macht oder Herrschaft übereinander auszuüben, sondern einander Diener zu sein, sich gegenseitig
zu helfen, wie er es selbst getan hatte. Jesus ist nicht "Herr" im Sinne einer dominierenden Autorität. Er ist Herr im Sinne eines Mentors und älteren Freundes. "Ich nenne Euch nicht länger
Diener... Ich habe Euch Freunde genannt."
Es ist einfach, Texte und Zitate auszuwählen, um das zu beweisen, was wir sagen wollen. Sogar während ich schreibe, muss ich mich fragen: Aufgrund welcher Autorität entscheide ich mich für
diesen oder jenen Text? Mit Hilfe welcher Autorität schreibe ich meine Gedanken auf? Hier kann ich nur sagen, dass ich versuche, mein Ego beiseite zu lassen - ebenso wie mein Bedürfnis, etwas zu
beweisen, oder meinen Wunsch, selbst als Autorität dazustehen. Stattdessen bemühe ich mich, in mir selbst die Stille und Harmonie zu ergründen, aus der dieses Schreiben fließt. Ihr Leser müsst
mit eurem Herzen zuhören - dann werdet ihr wissen, ob und wo die Zeilen tanzen oder die Noten glänzen.
Ich selber lese die Mystiker auf diese Art; ich versuche, das, was ich lese, tief in mich eindringen zu lassen, und wenn etwas in mir dadurch berührt wird, dann kann ich zuhören und die
Herausforderung bemerken und den nächsten Schritt meines Wachstums finden. Das Gelesene wird dann ein Schlüssel, der aufschließt, was im Innersten liegt. Für mich selbst kann ich mit Sicherheit
sagen, dass bestimmte Texte mich in meinem innersten Kern berühren. Diese Texte lassen mich sagen: Ja, ja, dessen bin ich mir sicher.
Die Wahrheit liegt in jedem von uns, und darin besteht unsere wahre Autorität; aber in vielen von uns ist sie versteckt unter Schichten von Strukturen, die wir angesammelt haben. Das Ziel der
Quäkergruppe "Kindlers" ist es, sich gegenseitig zu helfen, einige dieser Strukturen beiseite zu legen und uns zu öffnen, so dass wir - sei es auch nur für kurze Momente - das Tiefste fühlen
können, das in uns liegt, und es durch all unser Tun hindurch scheinen zu lassen.
Die sokratische Herausforderung "Kenne dich selbst" ist ein entscheidendes Element unseres geistlichen Weges; wir müssen uns selber kennen, und wir müssen wissen, was in unserem Wesen sich
uns in den Weg stellt. Das wird uns erlauben, alles loszulassen, was uns daran hindern könnte, die tiefgründige Autorität aus dem Innern zu hören.
Zu den Tragödien unseres Menschseins zählt es, dass wir gedankliche Konstruktionen als letzte Wahrheit auffassen; wir nehmen sie in Besitz und verteidigen sie und benutzen sie als Werkzeug,
um uns und die Gruppe, zu der wir gehören, zu bestätigen. Wir verlieren die Tatsache aus den Augen, dass der Geist hinter den Gedankengebäuden die lebendige Stimme ist. Ganz ähnlich können uns
auch unsere psychologischen Verstrickungen daran hindern, die wahre Stimme im Innern zu hören.
Durch alle Zeitalter hindurch hat es Menschen gegeben, die Zeugnis davon abgelegt haben, im Innersten vom tiefsten Geheimnis berührt worden zu sein. Es kann sein, dass sie durch andere
Mystiker inspiriert waren, die vor ihnen gelebt hatten, aber jeder Zeuge und jede Zeugin trägt eine Wahrheit aus der Tiefe seiner oder ihrer Stille bei, die uns berühren und inspirieren kann. Man
kann sagen, dass alle Entdeckungen und Einsichten für sich selbst authentisch waren und dass sie - was wunderbar ist - letztlich dieselbe Wahrheit zum Ausdruck bringen. Es gibt zwischen diesen
Zeugnissen keine Gegensätze, wie sie unvermeidlich wären, wenn es sich lediglich um Ideen oder Meinungen handelte, die sich aus bestimmten festen Lehrsätzen ergäben.
(Jarman, Roswitha - aus "Einswerden mit dem Göttlichen", Kapitel IV)
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K (Donnerstag, 02 Juli 2020 14:08)
Ein wunderbarer Text wie ich finde!
Mir fällt dazu ein: Man kann viele Vorträge und Bücher darüber lesen, wie Salz schmeckt. Letztlich weiß man es nur, wenn man Salz geschmeckt hat. Man weiß nur sicher, wie Salz schmeckt, wenn man die Erahrung gemacht hat.
"...Ihr Leser müsst mit eurem Herzen zuhören - dann werdet ihr wissen, ob und wo die Zeilen tanzen oder die Noten glänzen." Eine schöne Umschreibung des tiefen Erfassens einer Wahrheit, die weit über das "intellektuelle" Verstehen hinausgeht."