In der Philokalie Band 1 in den "27 Kapitel des heiligen Isaias des Anachoreten über die Bewachung des Geistes" lese ich in Kapitel 4 das Bibelzitat: "Schließ Frieden mit deinem Gegner, solange du mit ihm auf dem Weg bist."
Darüber lässt sich trefflich tiiiiief ^^ nachdenken... Und es ist nicht leicht zu durchdringen!
Die Einheitsübersetzung ist mit dem Einschub "zum Gericht" (siehe unten) schon ziemlich einschränkend die Richtung vorgebend. Ich meine mich zu erinnern, dass wir das in der Version bereits einmal durchgesprochen haben. Ich bleibe für heute lieber beim kurzen Satz aus der Philokalie oben. Trotzdem:
Schließ ohne Zögern Frieden mit deinem Gegner, solange du mit ihm noch auf dem Weg zum Gericht bist! Sonst wird dich dein Gegner vor den Richter bringen und der Richter wird
dich dem Gerichtsdiener übergeben und du wirst ins Gefängnis geworfen.
Amen, ich sage dir: Du kommst von dort nicht heraus, bis du den letzten Pfennig bezahlt hast.
Andere Übersetzungen wählen noch anders formulierte Startpositionen: "Komm deinem Gegner schnell entgegen", "Sei deinem Widersacher bald geneigt" etc. Dafür lassen sie das "zum Gericht" weg.
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Ruth Finder (Freitag, 26 Juni 2020 16:02)
Wie oft beklagen wir uns über die Anderen und über die äußeren Umstände. Auch uns selber akzeptieren wir nicht so ganz. "Ich, Mitmenschen und die Welt" werden in vielelei Hinsicht als Gegner wahrgenohmen.
Daher könnte man den Spruch dahingehend auslegen, dass wir Leute und Dinge annehmen sollen, wie sie sind! Allmächtiger Gott ist "ein Richter" ohne Gericht (im Sinne von: Der alles in seiner Macht stehende zum Guten richtet, sei es Karma-Gesetz, sei es Gnade), und karmische Kräfte als "Gerichtsdiener" bringen uns ins von uns selber (!) errichtete karmische Gefängnis aus Widerstand, Ablehnung, Empörung, letzendlich Angst. Und solange wir diesen Widerstand leisten, solange bleiben wir in diesem Gefängnis - bis "alles bis zum letzten Pfennig" abbezahlt ist.
Und was könnte es mit "Sonst wird dich dein Gegner vor den Richter bringen" auf sich haben? Das beantworte ich mit dem Spruch vom Rabbi Nachman:
"Wenn ein Mensch sich selbst nicht richtet, richten ihn alle Dinge, und alle Dinge werden zu Boten Gottes."
Ruth Gabriel (Freitag, 26 Juni 2020 17:45)
RuFi hat es ja bereits treffend beschrieben. Hier meine Ergänzungen:
Die Aufforderung, Frieden mit meinem Gegner zu schließen, zeigt meinem Verständnis nach, dass ICH den Anderen als Gegner sehe, unabhängig davon, wie der Andere mich sieht. Warum müsste ich sonst Frieden schließen?
Die Erweiterung, Frieden zu schließen, solange ich mit ihm auf dem Weg bin, birgt die einzig wahre Möglichkeit des Frieden-Schließens. Nur solange wir miteinander zu tun haben, also mit ihm auf dem Weg sind, können wir tatsächlich unsere innere Struktur verändern indem wir am Frieden arbeiten und ihn dann auch äußerlich, im Umgang mit dem Anderen, zum Ausdruck bringen. Zeitliche und räumliche Distanz nimmt uns diese Möglichkeit der inneren Veränderung und lässt uns sogar meist in dem Irrglauben, wir hätten unseren Frieden mit dem Anderen gemacht.
„Schließ ohne Zögern Frieden mit deinem Gegner, solange du mit ihm noch auf dem Weg zum Gericht bist! Sonst wird dich dein Gegner vor den Richter bringen und der Richter wird dich dem Gerichtsdiener übergeben und du wirst ins Gefängnis geworfen.
Amen, ich sage dir: Du kommst von dort nicht heraus, bis du den letzten Pfennig bezahlt hast.“
Auf dem Weg zum Gericht zu sein, zeigt deutlich unsere Gesinnung. Wir sehen das Fehlverhalten - die Schuld - ausschließlich beim Anderen, fordern, was wir für Gerechtigkeit halten (unterstellen damit ja eigentlich Gott Ungerechtigkeit und Willkür). Was wir jedoch bekommen, ist, dass wir zur Verantwortung gezogen werden für unser eigenes Denken, Fühlen und Handeln. Und das bezahlen wir karmisch bis zum letzten Pfennig.
Was es immer wieder braucht, ist unser Vertrauen in Gottes Weisheit und Gerechtigkeit. Denn wir wissen nicht um die Zusammenhänge. Doch wir sollten uns immer wieder daran erinnern, dass wir für unsere Entwicklung die dafür notwendigen Umstände und Rahmenbedingungen erhalten, und zwar JEDER. Wenn man dafür nicht dankbar sein kann, wofür dann sonst? Natürlich ist das nicht einfach. Aber einfach kann ja Jeder.
Simon (Freitag, 26 Juni 2020 22:54)
Die Gegner, die uns am nächsten sind, sind die Gegner in uns. Mit ihnen sollten wir Frieden schließen.
Solange wir sie leugnen, nicht akzeptieren, können sie uns nicht zur Umkehr auffordern bzw. Wegarbeit im Sinne einer spirituellen Ausrichtung fördern. ("Komm deinem Gegner schnell entgegen")
Wahrscheinlich neigen wir dann auch eher dazu, diese Gegner in unseren Mitmenschen zu sehen als in uns selbst ("Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders und nimmst den Balken in deinem eigenen Auge nicht wahr?“
(Matthäus 7,3)
Denke, dass Splitter und Balken häufig sogar vom selben Holz(Baum) sind. ^^
Ohne Frieden werden unsere inneren (und äußeren) Gegner Weg bestimmende Kräfte sein. ("Sonst wird dich dein Gegner vor den Richter bringen").
Freiheit ohne Frieden ist nicht möglich.
Ich glaube, Friede als Geisteshaltung bedeutet nicht, ohne Gegner zu sein!?