Wieder gelesen, neu gelesen III

Sehen und Glauben

Man fragte Rabbi Jizchak Meir von Ger: "Es steht geschrieben: 'Und Israel sah die große Hand', und dann steht geschrieben: 'Und sie glaubten an den Herrn und an Mose, seinen Knecht.' Wozu ist das gesagt? Nur solang man noch nicht 'sieht', ist die Frage gestellt, ob man glaubt."

Er antwortete: "Ihr irrt. Gerade danach wird erst die wahre Frage gestellt. Die große Hand sehen, macht den Glauben nicht entbehrlich. Jetzt erst merkt man, was das heißt, ihn nicht haben; jetzt erst verspürt man, wie sehr man seiner bedarf. Beim Sehen der großen Hand beginnt erst der Glaube an das, was man nicht sehen kann."



Vor Gott

Als Rabbi Chanoch von Alexander in seiner Jugend als Schüler Rabbi Bunam in Pzysha weilte, war es ihm übertragen, das Morgengebet vorzubeten, und zwar in einem Haus, das an das seines Lehrers grenzte. Er pflegte aber mit heftigen Gebärden und lauten Rufen zu beten, anders als Rabbi Bunam, der auch im Gottedienst der Gemeinde nur die gelassene Rede liebte.

Einst stand der junge Chanoch im Gebet, als der Rabbi eintrat. Sogleich unterbrach er seine Rufe und Gebärden. Aber kaum hatte er es getan, bedachte er sich. "Ich habe es doch nicht mit dem Rabbi zu tun", sprach er in seiner Seele, "ich stehe doch vor Gott!" Und alsbald nahm er seine stürmische Betweise wieder auf.

Nach dem Gottesdienst ließ Rabbi Bunam ihn zu sich rufen. "Chanoch", sagte er, "heute habe ich eine rechte Freude an deinem Beten gehabt."



(Ruth Finder)

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